18. Feb. 2008
Frankfurter Rundschau
Rubrik: Deutschland
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Vom Arrest ins Spitzenamt
Porträt
Von Karl-Otto Sattler
Ja, die Rebellenzeit. Damals, man schrieb 1990, «war ich der erste Parlamentarier, der im Gefängnis saß», erinnert sich Andreas Gross. Morgens entließ die Haftanstalt den Züricher Sozialdemokraten zu seiner Arbeit in den Nationalrat, das Schweizer Parlament, und abends rückte der Abgeordnete wieder in den Knast ein. 45 Tage dauerte diese Halbgefangenschaft aus politischer Überzeugung. Gross hatte seinen Wehrdienst abgeleistet, weigerte sich aber, den Zivilschutz zu absolvieren, der auf Vorkehrungen gegen einen Kernwaffeneinsatz ausgerichtet ist: «Man muss stattdessen den Atomkrieg verhindern.»
Mittlerweile ist Andi zu einem Spitzenpolitiker im Europarat avanciert. Neuerdings amtiert der 55-Jährige in dessen Parlamentarischer Versammlung als Vorsitzender der sozialistischen Fraktion, auf deren Bezeichnung als sozialdemokratisch im deutschen Sprachgebrauch er Wert legt. Beim Marsch durch die Institutionen ist dem Radikaldemokraten im diplomatisch wohltemperierten Palais de l'Europe, in dem er seit 1995 aktiv ist, das Rebellenhafte indes nicht abhanden gekommen. Zu erkennen nicht allein an der (nur leicht) längeren Haartracht. Gross, an der Universität Jena Lehrbeauftragter für Themen rund um die direkte Demokratie, pflegt Klartext zu reden: «Ich habe mich immer wieder getraut, auch autoritären und autokratischen Herrschaften entgegenzutreten.»
Nicht alles austarieren: So hat sich der Vertreter eines kleinen Lands in Straßburg profiliert. Als Berichterstatter für Tschetschenien kritisierte er das Vorgehen des russischen Militärs, die Entführungen und Morde, verübt auch durch die Leute Ramsan Kadyrows, des regionalen Machthabers. Diese Berichte haben wesentlich beigetragen zur kritischen Haltung des Staatenbunds gegenüber der repressiven Schlagseite von Präsident Wladimir Putin. Jetzt legte Gross als Leiter einer im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Russland recherchierenden Europarats-Delegation nach: Man könne kaum von freien Wahlen sprechen, wenn den Gegenkandidaten von Putins designiertem Nachfolger Dimitri Medwedew Chancengleichheit verwehrt werde.
Im Europarat will Gross seiner Fraktion zu mehr Gewicht verhelfen und auf Bedacht bei der Auswahl der Redner dringen: So sei es ein Fehler gewesen, jüngst den georgischen Präsidenten Saakaschwili einzuladen, der wegen autoritärer Tendenzen in der Kritik steht. Im Abgeordnetenhaus will Gross die Kollegen lagerübergreifend zu mehr Engagement anhalten, gerade in den oft mäßig frequentierten Ausschüssen. Und der Eidgenosse verlangt von den Volksvertretern, in ihren nationalen Parlamenten energischer für die Politik des Staatenbunds einzutreten. Bequem dürfte Andi für niemanden sein.
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