09. Feb. 2008

Neue Zürcher Zeitung

Eine «Wahl ohne Wahl» in Russland:
Der Europarats-Abgeordnete Andreas Gross
sondiert in Moskau


Die Parlamentarische Versammlung des Europarats wird Wahlbeobachter nach Russland entsenden. Der Leiter der Delegation, Nationalrat Andreas Gross, spricht von einer «Wahl ohne Wahl».

mac. Moskau, 8. Februar


Mitten in den Turbulenzen um die Absage der Wahlbeobachtungs-Mission des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (Odihr) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat am Donnerstag und Freitag eine Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Moskau besucht, um die eigene Beobachtung der Präsidentschaftswahlen vorzubereiten. Die Parlamentarier unter der Leitung des Schweizer Nationalrats Andreas Gross, der im Europarat die sozialdemokratische Fraktion präsidiert, traf sich mit drei der vier Kandidaten - Dmitri Medwedew liess sich zu Gross' Enttäuschung vertreten - sowie dem nicht registrierten Michail Kasjanow, Duma-Abgeordneten und dem Leiter der Zentralen Wahlkommission, Wladimir Tschurow.

Argumente für Langzeitbeobachtung

Die Polemik um die Odihr-Mission sei zuletzt fast schon grotesk gewesen, meint Gross im Gespräch in Moskau. Den eigentlichen Auftrag - die Langzeitbeobachtung der Wahlvorbereitungen und des Wahlkampfs - hätte sie ohnehin nicht mehr erfüllen können. Für die Kurzzeit-Beobachter des Europarats ändere sich daher mit der Absage nichts mehr. 30 Abgeordnete der Strassburger Institution werden wie geplant kurz vor dem Wahltag nach Russland kommen. Als erfahrener Wahlbeobachter bedauert es Gross aber ausserordentlich, dass den Russen die Bedeutung der Langzeitmissionen nicht bewusst sei. «80 Prozent des Entscheidenden finden vor dem eigentlichen Wahltermin statt», sagt er. Davon zu erfahren, sei für die Kurzzeit-Beobachter wichtig. Und die Forderung der Russen, die Eingeladenen hätten den Regeln der Gastgeber zu folgen, findet er falsch. Auch Russland habe sich auf die Grundlagen der OSZE-Wahlbeobachtung verpflichtet. «In der Champions League», sagt der Fussballfreund, «werden auch Regeln akzeptiert, egal, wo das Spiel stattfindet.» Im Übrigen entsende Russland selbst auch Langzeit-Beobachter.

Fiktive Demokratie-Elemente

Gross spricht von einer «Wahl ohne Wahl» am 2. März in Russland. Für alle Wähler links der Mitte, denen der Kommunist Sjuganow zu extrem sei, fehle es an einem Kandidaten. Ein Zufall sei es nicht, dass keine richtige Wahl stattfinde. Den Boden dafür hätten die Wahlrechtsänderungen der vergangenen Jahre gelegt. Viele fiktive Elemente von Demokratie existierten in Russland. Ein Zeichen dafür sei auch die mangelnde Diskussionsbereitschaft, die sich am Beispiel Medwedews zeige, der sich keiner Fernsehdebatte stellen wolle. «Demokratie ist nicht einfach ein Herrschaftsinstrument», meint Gross.


Kontakt mit Andreas Gross



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