15. Jan. 2008
Basler Zeitung
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Andreas Gross: «Wir dürfen uns bei der Beurteilung von Wahlen nicht von geostrategischen Interessen leiten lassen»
BaZ: Sie kamen eben zurück als Wahlbeobachter aus Georgien. Welches ist Ihr Fazit der Präsidentenwahl?
Andreas Gross: Für mich war es eine traurige Erfahrung. Wahlen sollen ja vor allem Legitimität für politische Macht herstellen. Dazu braucht es eine minimale Chancengleichheit, eine minimale Fairness in der Kommunikation und eine faire Verteilung der Ressourcen. Dies war überhaupt nicht gewährleistet. Die Wahlen waren eine Inszenierung der präsidialen Macht, einer Autokratie. Mit fairen und freien Wahlen hatte dies nichts zu tun.
Gilt dies auch im Vergleich zu Wahlen in anderen ehemaligen sowjetischen Staaten wie Russland und Armenien?
Gute Frage. Ein wichtiges Zeichen für die demokratische Entwicklung ist eine friedliche Machtablösung. Eine solche hat es in Georgien bereits einmal gegeben: Während der rosa Revolution von 2003, als Michail Saakaschwili Präsident Eduard Schewardnadse im Amt ablöste. Eine solche Erfahrung gibt es in Armenien, Aserbaidschan und Russland noch nicht. Deswegen halte ich das Potenzial für eine demokratische Wahl in Georgien für grösser als in den drei andern genannten Staaten. Ich denke deshalb, man sollte in Georgien der Macht gegenüber kritischer sein als in den anderen Staaten, weil die Gesellschaft fortgeschrittener ist.
Der US-Kongressabgeordnete Alcee Hastings, der die OSZE-Beobachtermission in Georgien leitete, nannte die Wahl gestern einen «triumphalen Schritt für die Demokratie». Weshalb kommen Sie zu einem ganz anderen Fazit als Hastings?
Diese Äusserung habe ich nicht so gehört. Auf Französisch meinte Hastings, die Bilanz sei «globalement positif» (alles in allem positiv). Ich denke jedoch, dass der Amerikaner Hastings befangen ist. Saakaschwili ist politisch und biographisch praktisch ein Ziehsohn von George W. Bush. Georgien erhält nebst der Militärunterstützung jedes Jahr 250 Millionen Dollar aus Washington. Der Kaukasus-Staat hat für die Amerikaner eine wichtige geostrategische Bedeutung gegenüber Russland. Als Wahlbeobachter hatten wir übrigens Hearings mit den Präsidentschaftskandidaten. Hastings war bei den Vertretern der Opposition nie dabei. Saakaschwili begrüsste er beim Hearing jedoch wie seinen Zwillingsbruder. Von einer solchen Person ist keine kritische Äusserung zu erwarten. Ich finde, wir dürfen uns bei der Beurteilung von Wahlen nicht von geostrategischen Interessen leiten lassen.
Ging bei der Auszählung der Stimmen alles mit rechten Dingen zu?
Der Wahltag selbst war professionell organisiert. In den Wahllokalen an der Schwarzmeerküste, die ich besuchte, wurde gute Arbeit geleistet. Es gab kleinere Unregelmässigkeiten, die betrafen 5 bis 6 Stimmen pro 1000. Wahlen sind aber ein Prozess, der Wahltag macht davon nur etwa 10 Prozent aus. Wenn der ganze Prozess einseitig und schlecht ist, kann auch ein gut organisierter Wahltag zu einem schlechten Resultat führen.
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