27. Juni 2007

Protokoll Europarat

Europarat, Demokratie und Globalisierung

Rede von Alfred GUSENBAUER,
Bundeskanzler von Österreich


Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten!

Es ist mir eine ganz große Ehre und Freude, heute hier sein zu können. Wie der Präsident bereits gesagt hat, bin ich mehr als 16 Jahre lang Mitglied der Parlamentarischen Versammlung gewesen und hatte daher nicht nur die Möglichkeit, die Tätigkeit des Europarates zu verfolgen, sondern auch, sie aktiv mitzugestalten.

Vieles von dem, was ich in meinem politischen Leben brauche und gebraucht habe, habe ich hier im Europarat gelernt. Und Sie können mir glauben, dass es bei der Führung einer großen Koalition von Vorteil ist, wenn man über eineinhalb Jahrzehnte hier im Europarat gelernt hat, Kompromisse, die über die Parteigrenzen hinausgehen, zu schließen, und dass es trotzdem zu einem sinnvollen Ganzen kommt.

Ich möchte daher auch einleitend feststellen, dass es mir Auftrag und Verpflichtung ist, auch in meiner neuen Funktion den Europarat nach Kräften zu unterstützen. Österreich ist ja am 16. April 1956 dem Europarat beigetreten, daher hat sich unsere Mitgliedschaft beim Europarat bereits zum 50. Mal gejährt. Dieses 50-Jahr-Jubiläum ist und war für uns ein besonderes Ereignis weil sich Österreich im Europarat vielleicht wie in keiner anderen internationalen Organisation engagieren und profilieren konnte.

Immerhin stellte Österreich mit Lujo Toncic Sorini, mit Franz Karasek und mit Walter Schwimmer drei Generalsekretäre im Europarat, und mit Karl Czernetz und Peter Schieder zwei Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung, sowie einen Präsidenten des Kongresses der Gemeinden und Regionen. Schon das weist darauf hin, dass Österreich sehr engagiert und sehr effizient im Europarat tätig war.

Groß ist die Zahl jener österreichischen politischen Persönlichkeiten, die im Rahmen des Europarates am europäischen Einigungsprozess mitgewirkt haben. Und am Beginn stand unserer früherer Bundeskanzler und dann Außenminister Leopold Fiegl, der als österreichischer Bundeskanzler die Beitrittsurkunde unterschrieb und betonte, dass unser Land mit dem Beitritt zum Europarat die Zugehörigkeit zur demokratischen Staatengemeinschaft hervorheben will.

Das war 1956, ein Jahr nach dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages, der zur Wiederherstellung der völligen Souveränität unseres Landes geführt hat, ein wichtiger Schritt. Ich möchte gerade vor dieser Versammlung, und nicht nur, weil er heute auch anwesend ist, Peter Schieder dafür danken, was ihm als Präsident der Parlamentarischen Versammlung gelungen ist.

Unter seiner Präsidentschaft wurde trotz verschiedener Widerstände die Aufnahme Serbiens und Montenegros in den Europarat erreicht, was meiner Meinung nach einen echten Beitrag zur Stabilität in der Region bedeutete. Auch die Mitwirkung des Europarates bei der Schaffung des panafrikanischen Parlaments, Vorschläge zur Belebung des Parlamentarismus und die Umsetzung demokratischer Standards in den neuen Mitgliedsländern gingen auf Initiativen von Peter Schieder zurück. Dazu gehören auch wichtige Aktionen gegen die Todesstrafe und Maßnahmen zum Schutz von Minderheiten.

Das Engagement österreichs im Europarat hatte von Beginn an eine ganz besondere Bedeutung. Für das Heimatland von Richard Coudenhove-Calergi, dem Begründer der Paneuropa-Idee, war es naheliegend, gleich mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages auch in Europa aktiv zu werden und aktiv am Prozess der politischen Einigung Europas mitzuwirken. Durch die aktive Mitwirkung an der Arbeit des Europarates, durch die Mitarbeit an zahlreichen europäischen Rechtsabkommen, hat unser Land an der Gestaltung Europas zu einer Rechts- und Wertegemeinschaft teilgenommen.

Heute können wir feststellen, dass diese Mitarbeit ganz entscheidend auch zur Verbesserung unseres eigenen Gesellschaftssystems beigetragen hat. Die Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde in Österreich in den Verfassungsrang erhoben. Sie dient als Maßstab für die gesamte Gesetzgebung, und auf ihrer Grundlage wurde das Rechtsschutzsystem wesentlich ausgebaut. Es war daher, glaube ich, auch kein Zufall, dass der erste Europaratsgipfel 1993 in Wien stattfand.

Dieser Gipfel befasste sich eingehend mit dem Schutz nationaler Minderheiten, mit dem Kampf gegen die Intoleranz, Rassismus und Fremdenhass, und vor allem auch damit, wie durch den Aufbau der Demokratie Frieden und Sicherheit auf unserem Kontinent verbessert werden können. Die Tatsache, dass seither weitere Länder, Mittel-, Ost- und Südosteuropas Mitglied im Europarat geworden sind, zeigt, dass die Frucht dieser Saat aus dem Jahr 1993 aufgegangen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Europarat stand am Beginn der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei seiner Gründung im Jahr 1949 kam schon klar zum Ausdruck, was das Wesen Europas ausmacht, nämlich, eine Wertegemeinschaft zu sein. Das unterscheidet uns vielleicht auch von vielen anderen Teilen der Welt. In diesem Sinne erklärte der Europarat die Förderung der Menschenrechte genauso zu seinem Ziel, wie den Ausbau der pluralistischen Demokratie und die Förderung des Rechtsstaates.

Und sehr bald wurde auch den sozialen Grundrechten ein hoher Stellenwert eingeräumt. Der Europarat setzte auf die Konsolidierung der demokratischen Stabilität durch den Ausbau von Sozialgesetzgebung und durch die Solidarität. Die Förderung des Bewusstseins der gemeinsamen Identität sollte gleichzeitig der Erhaltung der kulturellen Vielfalt Europas dienen.

Das Gesicht Europas hat sich seit dem Fall der Berliner Mauer und der überwindung der Teilung unseres Kontinents dramatisch geändert. Der Europarat wuchs mit nunmehr 47 Mitgliedern zu einer beinahe ganz Europa umfassenden Organisation heran, und die Europäische Union umfasst seit ihrer letzten Erweiterung 27 Mitgliedsstaaten, die auch alle Mitglieder des Europarates sind.

In den frühen Morgenstunden des vergangenen Samstag, ich glaube, es war bereits fünf Uhr vorbei, ist es uns gelungen, beim Europäischen Rat in Brüssel die Weichen für eine neue vertragliche Grundlage der Europäischen Union zu schaffen. Ich betrachte das erzielte Ergebnis als einen guten Fortschritt, auch wenn ich nicht verhehle, dass einige der zu schließenden Kompromisse schmerzhaft waren, vor allem für ein Land wie Österreich, das den Verfassungsvertrag ja mit überwältigender Mehrheit im österreichischen Parlament ratifiziert hatte.

Lassen Sie mich aber auf drei Elemente verweisen, die auch für den Europarat und die Parlamentarische Versammlung, glaube ich, von großer Bedeutung sind. Es ist uns gelungen, die Grundrechtscharta, das Herzstück des Verfassungsvertrages, rechtsverbindlich festzuschreiben. Damit sind nicht nur die EU-Institutionen, sondern auch die Mitgliedsstaaten in der Umsetzung europäischer Rechtsakte an die Charta gebunden.

Diese Charta umfasst ja sowohl die klassisch-liberalen Grund- und Menschenrechte, als auch soziale Grundrechte. Und ich erachte diese Festlegung als den wesentlichsten Beitrag der EU-Verfassungsdebatte zu dem umfassenden Bemühen, den europäischen Einigungsprozess für jeden Bürger der europäischen Union erfahrbar und spürbar zu machen.

Die Grundrechte-Charta qualifiziert die Europäische Union nun rechtsverbindlich als Wertegemeinschaft. Europa hat hier dem kühlen Kalkül des Marktes ein Element hinzugefügt, das es auch als politisches Projekt legitimiert. Ich werde mich in jedem Fall dafür einsetzen, dass dem Wunsch des Präsidenten und der gesamten Versammlung nachgekommen wird, dass, wenn jetzt die Europäische Union eine eigene Rechtspersönlichkeit darstellt, sie auch der Menschenrechtskommission beitritt. Das wäre für mich der nächste wichtige und logische Schritt.

Das zweite positive Ergebnis des Gipfels ist die Festschreibung der sozialen Dimension im neuen Reformvertrag. Wir haben nicht nur alle sozialpolitisch relevanten Teile des Verfassungsvertrages übernommen, sondern auch ergänzend sehr klare Worte zur Daseinsvorsorge gefunden. Das sind all jene Bereiche, die wir täglich benutzen, vom öffentlichen Verkehr über die Bildung bis zur Gesundheit.

Ich glaube, es ist Teil unseres europäischen Sozialmodells, dass es nicht nur einen effizienten Wettbewerb gibt, sondern dass es auch Güter von öffentlichem Interesse gibt, die jenseits der strikten Wettbewerbsorientierung existieren, und die aber die wesentliche Grundlage für die breite Partizipationsmöglichkeit von Menschen schaffen, unabhängig von ihrer materiellen Stellung in der Gesellschaft.

Daher ist es mir sehr wichtig, dass diese Klarstellung getroffen wurde, ebenso wie die Klarstellung, dass der freie und ungehinderte Wettbewerb in der Europäischen Union nicht ein Ziel an sich ist, sondern ein Mittel zum Zweck, ein Mittel, um Wachstum, Vollbeschäftigung und sozialen Zusammenhalt in Europa zu erreichen. Ich glaube, es war wichtig, klarzustellen, dass Europa sich weder zu einem Superstaat noch zu einem Supermarkt entwickelt, sondern dass das europäische Sozialmodell weiter entwickelt wird, und dass es Element in unserer Gesellschaft geben muss, die sich dem puren Marktfetischismus gegenüberstellen, damit die Marktwirtschaft in einer sozialen und nachhaltigen Form funktionieren kann, und die Menschen in den Mittelpunkt unseres Handelns rücken.

Schließlich bin ich auch stolz darauf, dass es uns gelungen ist, den Klimaschutz als neues Politikfeld der Europäischen Union zu erschließen; auch dieser Zusatz dokumentiert, dass Werte jenseits nur der ökonomischen Vernunft wieder im Zentrum der politischen Debatte stehen. Dass die Qualität der konkreten Lebensbedingungen und Lebensumstände unserer Bürgerinnen und Bürger vor einer kurzfristigen Marktlogik Profitgier Vorrang hat.

Ich habe in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen während des Europäischen Rates den Eindruck gewonnen, dass es eine neue Generation von Staats- und Regierungschefs gibt, die sich von den neoliberalen Dogmen der Vergangenheit lösen und den Werten, die Europa zugrunde gelegt sind, wieder ihre volle Bedeutung beimessen. Gerade in einer Zeit, in der durch die Globalisierung der Wirtschaft, durch die globale Vernetzung der Waren-, aber auch der Finanzmärkte einerseits neue Chancen, andererseits aber auch große Ungleichgewichte entstanden sind, muss es uns darum gehen, die sozialen Werte in unserer Gesellschaft zu stärken.

Neue Rekorde im internationalen Warenaustausch und bei ausländischen Direktinvestitionen haben zu neuen Hoffnungen in einer Reihe von Regionen geführt. Aber es sind auch in Europa traditionelle Wirtschaftszweige in Schwierigkeiten geraten. Es muss daher darum gehen, die Sozialcharta, die der Europarat bereits vor mehr als einer Generation, im Jahr 1961, in Turin verabschiedet hat, wieder ins Bewusstsein der Verantwortlichen zu rücken.

Ich sage das deswegen mit ganz großer überzeugung und mit Leidenschaft, weil einer der wichtigsten österreichischen Abgeordneten zum Europarat im Jahr 1961 der viel zu früh verstorbene Peter Strasser war, der diese Sozialcharta im Jahr 1961 federführend erarbeitet hat, und es war mir eine große Freude, als ich im Jahr 1991 im Europarat eingezogen bin, dass eine meiner ersten Veranstaltungen die 30-Jahr-Feier der Sozialcharta in Turin war.

Und ich füge hinzu, wer diese Sozialcharta heute liest und studiert wird feststellen, dass es nach wie vor ein brandheißes Dokument ist, weil viele der Normierungen, die dort festgehalten sind, leider für viele Menschen auch im entwickelten Europa noch nicht Realität geworden sind.

Daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es im Sinne des Europarates, auch in Zukunft alle Anstrengungen zu unternehmen, um im Bewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger die Notwendigkeit einer sozialen Kohäsion, des Recht auf soziale Sicherheit und das Recht auf Fürsorge zu verankern, genauso, wie unsere Solidarität und Fürsorge mit den älteren Menschen in unserer Gesellschaft.

Das sind die Werte, auf denen der Europarat und die Europäische Union im gleichen Ausmaß aufgebaut sind, und wie Sie wissen, war ich einige Jahre hier in der Parlamentarischen Versammlung der Vorsitzende des Sozialausschusses, und ich bin den Ideen, die ich hier im Europarat vertreten und mit vielen meiner Freunde erarbeitet habe, immer noch treu geblieben, weil es nach wie vor die Notwendigkeit gibt, unser Europa sozialer und damit zustimmungsfähiger für unsere Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zwar unterscheiden sich die Europäische Union und der Europarat in ihren Strukturen, doch sie sind denselben europäischen Werten verpflichtet, hat sich doch die EU aus dem Wertesystem des Europarates heraus entwickelt. Jede der beiden Organisationen hat ihre spezifischen Aufgaben, und dabei kommt dem Europarat in den Bereichen der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte aufgrund seiner unschätzbaren langjährigen Erfahrung eine Schlüsselrolle zu.

Davon kann auch die EU profitieren. Um diese Erfahrungen des Europarates nützen zu können, bedarf es einer engen Abstimmung der Aktivitäten und Programme beider Organisationen. Ich glaube, dass das kürzlich unterzeichnete «Memorandum Of Understanding» dafür eine ausgezeichnete Grundlage bietet. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit des Europarats mit der Grundrechtsagentur der EU für beide Organisationen äußerst gewinnbringend sein wird, und ich bin sogar überzeugt, dass aus dieser Grundrechtsagentur nur dann etwas werden wird, wenn es diese aktive Kooperation gibt.

Die Mitgliedsstaaten der EU, vor allem auch jene europäischen Länder, die nicht Mitglieder der EU sind, sollten sich des einzigartigen Forums bedienen, das ihnen der Europarat bietet. Dies gilt sowohl für Länder, die einmal Mitglieder der EU werden wollen, als auch für unsere Nachbarn. Der Europarat ist das einzige Forum, in dem wir alle als gleichberechtigte Partner zusammenarbeiten können.

Es sind schon mehr als zwei Jahre vergangen, seit die Staats- und Regierungschefs in Warschau die grundlegenden Weichenstellungen für die weitere Zukunft unserer Organisation gestellt haben. Einige der in Warschau gefassten Beschlüsse wurden bereits umgesetzt.

So haben wir fünf wichtige Kampagnen gestartet, darunter jene gegen Gewalt gegen Frauen, jene für ein Europa von Kindern für Kinder, das Forum für die Zukunft der Demokratie wurde geschaffen und ist auf dem besten Weg dazu, zu einer relevanten, auch über die Grenzen des Europarates hinausgehenden, beachteten politischen Veranstaltung zu zentralen Fragen der Demokratie zu werden.

Andere Beschlüsse harren noch ihrer Verwirklichung. Was uns jedoch bei unserer künftigen gemeinsamen Arbeit zum Wohle der europäischen Bürger stets leiten sollte, ist der erste der Beschlüsse der Warschauer Erklärung: Alle Aktivitäten des Europarates müssen zum Schutz und zur Weiterentwicklung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beitragen.

Und auch heute bekräftige ich, dass der Schutz der Menschenrechte zu den wichtigsten, unveräußerlichen Aufgaben des Europarates zählt. Zahlreiche Konventionen und Empfehlungen wurden vom Europarat ausgearbeitet, um den Schutz der Menschen überall dort zu garantieren und zu verbessern, wo das notwendig ist. Ich erachte es deshalb als von größter Wichtigkeit, dass dieses System zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten auch weiterhin funktionsfähig bleibt.

Dazu brauchen wir einen Europäischen Gerichtshof fü Menschenrechte und Grundfreiheiten, der weiterhin seine Aufgaben wahrnimmt, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihn auch gerechtfertigt ist. Wichtig ist, dass der Gerichtshof auch in Zukunft effizient arbeiten kann und nicht Opfer seines eigenen Erfolges wird.

Die Bürger in Europa sind sich nämlich in zunehmendem Ausmaß bewusst, ihre Anliegen nach Straßburg tragen zu können. Dieses Bewusstsein, verbunden mit der Erweiterung des Europarates, führte zu einem sprunghaften Anstieg der beim Gerichtshof anhängigen Fälle. Es muss daher alles getan werden, damit die Leistungsfähigkeit des Gerichtshofs auch weiter gewährleistet ist.

In diesem Sinne hat österreich das 14. Zusatzprotokoll zur europäischen Menschenrechtskonvention im Januar letzten Jahres ratifiziert. Bis zu diesem Tag wurde das Zusatzprotokoll von allen Mitgliedsstaaten des Europarates mit Ausnahme der Russischen Föderation ratifiziert.

Ich darf nochmals unterstreichen, für wie wichtig ich das Inkrafttreten dieses Protokolls halte. Ich appelliere daher eindringlich an die Russische Föderation, das 14. Zusatzprotokoll umgehend zu ratifizieren. Und ich möchte alle Abgeordneten der Russischen Föderation auffordern und einladen, sich für dieses Anliegen auch in ihrem eigenen Land einzusetzen. Denn erst dann kann der Gerichtshof endlich die Reformen umsetzen, auf die sich alle Regierungsvertreter bei der Ausarbeitung des Protokolls vor mehreren Jahren geeinigt haben.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, heute sehen wir, dass sich in verschiedenen Gegenden der Welt, von Lateinamerika bis Südostasien, Staaten zu Wirtschaftsgemeinschaften zusammenschließen. Vielfach dient ihnen der europäische Einigungsprozess als Modell.

Dabei wird es unsere Aufgabe sein, aufzuzeigen, dass der Erfolg der europäischen Integration nicht nur auf der wirtschaftlichen überlegung aufbaut, sondern darauf, dass der Schutz der menschlichen Person die rechtsstaatliche Grundlage der Staaten und das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit in einer Organisation wie dem Europarat verankert sind. Die wirtschaftliche Integration allein garantiert nicht den Erfolg.

Und dabei ist es wichtig, dass die Botschaft des Europarats, nämlich dass die Einigung nur auf einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Grundlage funktionieren kann, in alle Welt getragen wird. Mehr als eine Generation nach der Annahme der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen werden die Menschenrechte nach wie vor in vielen Ländern der Welt verletzt. Wenn wir glaubwürdig für Menschenrechte eintreten wollen, so müssen wir dies auch zu allererst bei uns selbst tun.

Auch wenn ich als Regierungschef höchstwahrscheinlich mit einigen Punkten des Berichts unseres Menschenrechtskommissars, Herrn Hammerberg, über österreich vermutlich nicht einverstanden sein werde, so stehe ich nicht an, schon jetzt eine intensive Auseinandersetzung mit seinen Empfehlungen zuzusagen. Um Demokratie und Menschenrechte muss auch in unseren Ländern täglich gerungen werden, und der Europarat hat die schwierige und zugleich noble Aufgabe, uns daran zu erinnern, dass die hehren Prinzipien, denen wir uns verpflichtet fühlen, erst in der praktischen Umsetzung ihre volle Gültigkeit entfalten.

Dass individuelle Rechte im Umgang mit individuellen Problemlagen verwirklicht werden, und nicht nur in Sonntagsreden. Ich bemühe mich daher auch persönlich um eine umfassende und abschließende Regelung eines in Österreich seit Jahrzehnten ungelösten Problems im Rahmen der Minderheitenrechte, nämlich den Streit um die zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten.

Ich hoffe, dass hier in den nächsten Tagen eine Lösung präsentiert werden kann, die sowohl für die Vertreter der slowenischen Minderheit, als auch für die deutschsprachige Mehrheitsbevölkerung akzeptabel ist und endlich den verfassungsrechtlich garantierten Minderheitenrechten Genüge tut.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen, dass die vielschichtige Architektur europäischer Organisationen trotz manchmal im Detail auftretender Abgrenzungsbedürfnisse vom Prinzip der wechselseitigen Ergänzung getragen ist. Der Europarat hat in dieser Architektur seinen festen und zentralen Platz, der durch die Aktivitäten anderer Einrichtungen in ähnlichen Tätigkeitsfeldern nicht geschwächt, sondern gestärkt wird.

Die EU wird durch den Beschluss der rechtsverbindlichen Grundrechte-Charta oder die Gründung der Grundrechte-Agentur nicht zu einem Konkurrenten des Europarates, sondern ist Partner im Kampf für ein gemeinsames Anliegen. Die Tatsache, dass sich die OSZE auch im Bereich der Demokratie und der Menschenrechte engagiert, verstärkt die Grundbotschaft und die Grundmission des Europarates.

Es muss uns allen darum gehen, die Synergien dieser manchmal etwas barock anmutenden Architektur zu realisieren. Aber als der Bundeskanzler eines Landes, das vom Barock in vielfacher Hinsicht geprägt ist, fällt es mir leicht, die Erfolgsaussichten dieser gemeinsamen Anstrengung absolut optimistisch zu bewerten.

Herzlichen Dank.

René VAN DER LINDEN,
Präsident der Parlamentarischen Versammlung:


Herr Bundeskanzler, ich glaube, dass ich nicht zu viel sage, wenn ich sage, dass diese Parlamentarische Versammlung sehr stolz darauf ist, dass sie hier einen früheren aktiven, engagierten und überzeugten Abgeordneten dieser Versammlung gehört hat, der mit einer überzeugung und Befürwortung wie kein anderer im Ministerrat in Brüssel für diese wichtige Arbeit gesprochen hat, die der Europarat leistet.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Herr Bundeskanzler,
lieber Alfred.

Die schönsten Diskussionen hatten wir hier, und das hat man in Deiner Rede gespürt, als wir versuchten, den Markt zu zivilisieren, indem wir die politischen Institutionen transnational einrichteten. Was hast Du über Europa hinaus gemacht als Bundeskanzler? Bist Du daran, global Institution aufzubauen, die eben die Globalisierung menschlicher machen können? Und denkst Du auch daran, dass Österreich die Forderung einer parlamentarischen Versammlung der UNO unterstützen könnte?

René VAN DER LINDEN,
Präsident der Parlamentarischen Versammlung:


Herr Bundeskanzler!

Alfred GUSENBAUER, Bundeskanzler von Österreich

Ja, ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt, den mein Freund der Abgeordnete Andreas Gross macht, denn meine Erfahrung ist die, dass alle internationalen Organisationen, die ausschließlich die Zusammenarbeit von Regierungen sind, nach einem anderen Muster funktionieren als jene Organisationen, die auch eine parlamentarische Dimension haben. Das merkt man auch am Europarat und an der Europäischen Union im Vergleich mit anderen Institutionen.

Ob jetzt die Frage einer parlamentarischen Versammlung der Vereinten Nationen der entscheidende Schlüssel ist, bin ich mir, offen gestanden, nicht sicher. Ich bin dafür, dass es das gibt, aber ich glaube, dass die Parlamentarisierung von Organisationen wie der Weltbank oder dem internationalen Währungsfonds oder auch der WTO viel entscheidender wäre, denn das sind heute jene Organisationen, die in der Gestaltung der Globalisierung einen ganz entscheidenden Anteil haben.

Und ich habe mich ja bereits als Vorsitzender des entwicklungspolitischen Unterausschusses des österreichischen Parlaments vor Jahren bemüht, dass wir eine Parlamentarisierung der Weltbank und der Währungsfonds-Debatten erreichen. Zumindest seinerzeit wurde von mir verwirklicht, dass vor jeder Herbst- und vor jeder Frühjahrsession der Weltbank und des Währungsfonds im österreichischen Parlament gemeinsame Tagungen des entwicklungspolitischen und des Finanzausschusses stattgefunden haben, wo auch die österreichischen Vertreter diesen Institutionen erstens berichten mussten, was anstand, welche Beschlüsse zu fassen waren und wie das Parlament über diese Angelegenheiten dachte.

Immer wenn etwas parlamentarisiert wird, hat das vor allem den Vorteil, dass es natürlich eine demokratische öffentlichkeit bekommt, dass daher auch Berichterstattung darüber stattfindet und in einem gewissen Ausmaß auch öffentliche Diskussionen.

Und daher glaube ich, dass ein entscheidender Ansatz zur Zivilisierung von Märkten, auch zur Vermenschlichung der Globalisierung mit Sicherheit die Parlamentarisierung von globalen Organisationen ist. Ich glaube aber, das es noch wichtiger wäre, bei der Weltbank, beim Währungsfond, bei der WTO anzusetzen als bei den Vereinten Nationen, es sei denn, wir können uns darauf einigen, was sicher ein vernünftiges Modell wäre, dass eine parlamentarische Versammlung der Vereinten Nationen das Recht hat, auch in den anderen Organisationen mitzureden. Das wäre eine zweite Denkoption, um dieses Ziel zu verwirklichen.

René VAN DER LINDEN,
Präsident der Parlamentarischen Versammlung:


Wollen Sie noch eine zusätzliche Frage stellen?

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Nein. Ich danke für die Antwort, und wenn ich den Bericht über eine gemeinsame europäische Position zur UNO-Reform mache, möchte ich wieder vorbeikommen in Wien.


Kontakt mit Andreas Gross



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