26. Mai 2006
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Montenegros Referendum hatte es in sich
Von Andreas Gross
Andreas Gross ist Politikwissenschafter, Zürcher SP-Nationalrat und Spezialist für Fragen der Direkten Demokratie. Als einziger Schweizer Parlamentarier beobachtete er am vergangenen Wochenende für den Europarat des Referendum über den Status von Montenegro. Es war seine 36. Wahl- und Abstimmungs-Beobachtung in den vergangenen 12 Jahren: höchst wahrscheinlich auch ein Europarekord.
Am Fuss des kleinen Hügels - die wörtliche Übersetzung von Podgorica, der Name der Hauptstadt von Montenegro - wurde am Wochenende in einem Referendum ein Staat in Europa aus der Taufe gehoben - der 48., um genau zu sein, und erstmals wieder, seitdem sich 1993 die Tschechen und die Slowaken ohne Referendum geschieden hatten. In einem Referendum, dessen Design die Europäische Union (EU) in Brüssel bestimmt hat und dabei mit dem Feuer spielte. Einem Referendum aber auch, das in seinem konkreten Ablauf so beeindruckt hat, dass sogar die Schweiz einiges von ihm lernen kann.
Gründe, weshalb sich auch die letzte der sechs früheren Teilrepubliken Jugoslawien aus dem Verbund mit Serbien lösen wollten, gab es genug. Montenegro ist die Region auf dem Balkan mit der historisch längsten Selbständigkeit. Es gehörte nie zum Osmanischen Reich der Türken und war 1876 als selbständiger Staat anerkannt worden. Am Ende des ersten Weltkrieges ist dieser im neuen Königreich Jugoslawien aufgegangen.
In jüngster Zeit gehörte Montenegro zur einzigen Region des Balkans, in der niemals Krieg herrschte. Die verschiedenen Volksgruppen feindeten sie nie an. 1997, als Serbiens Präsident Milosevic den Krieg gegen die Albaner des Kosovo begann, ging die Mehrheit der Montenegriner ganz auf Distanz. Tausende von Flüchtlingen aus Bosnien und dem Kosovo finden an der Adria Asyl, in Belgrad verbotene Zeitungen wurden jenseits der "schwarzen Berge" gedruckt.
Auch nach dem Sturz Milosevics im Herbst 2000 nahmen die neuen Regierungen Serbiens die Montenegriner nie richtig erst und ignorierten in alter zentralistischer Manier deren Anliegen. 2002 kam es unter der Aegide des EU-Aussenbeauftragten Solana zu einem freilich von beiden Protagonisten nie richtig ernst genommenen Vertrag für einen Staatenbund. Ausdruck dessen war die Ausstiegsklausel, das heisst dem Recht, nach drei Jahren ein Referendum über die Selbständigkeit abhalten zu dürfen. Seither schaffte man in Podgorica mehr als ein Faitaccomplit: Ein Zoll wurde eingerichtet, mit dem Euro eine eigene Währung eingeführt, seit Dezember gibt es auch eigene Briefmarken.
All diese langen Jahre des aktiven Wartens wirkten aber auch positiv: Die montenegrinische Gesellschaft begann reif und bereit zu werden für einen friedlichen Entscheid. Anders lässt sich die unglaubliche Ruhe während dem vergangenen Wochenende nicht erklären. In keinem einzigen Wahllokal, in keiner einzigen Beiz waren hitzige Auseinandersetzungen zu beobachten. Alle Wahlbüros waren genau paritätisch besetzt - hier drei "Unabhängige", dort drei "Unionisten" (für die Union mit Serbien) mit dem Zwang, sich bei kleinen Divergenzen zu einigen. Und dies geschah auch nach 13 Stunden Urnenöffnung beim Auszählen der von fast 90 Prozent der Montenegriner abgegebenen Stimmen, spätabends und schweissnass, ohne geringsten Zorn oder gar Gewalt.
Im eigens dafür geschaffenen Referendumsgesetz hatte sich die sehr einseitige Parlamentsmehrheit auf einen Ressourcenausgleich geeinigt, von dem Demokraten in der Schweiz nur träumen können: Beide Lager bekamen aus der Staatskasse je eine Million Euros als Basis für die Abstimmungskampagne. Das macht nicht weniger als 6 Franken 50 pro stimmberechtigten Kopf. Dem lag die vom Aussenminister, den es auch schon lange gibt, so formulierte Überzeugung zu Grunde: «Nur die Fairness und die Korrektheit des Entscheidungsprozesses garantiert die Legimität des Ergebnisses, so dass es von allen akzeptiert werden kann.»
Mit dem Feuer gespielt hat dafür Javier Solana von der EU, der Schiedsrichter, der auch die Regeln zur Definition der siegreichen Mehrheit im Referendum festlegen durfte - denn mit Europa wollten es sich weder die Unabhängigen noch die Unionisten verscherzen. Zwar vermied er Festlegungen unseliger deutsch-italienischer Tradition, wonach sich ein bestimmter Prozentsatz der Wahlberechtigten für ein Ja aussprechen müssten - was die Gegner meist zur Diskussionsverweigerung und Boykotten verführt statt zur Überzeugungsarbeit. Doch liess er von der Grundregel "gleiche Stimmkraft für alle" ab, und setzte fest, dass das Referendum nur als angenommen gelten wird, wenn einerseits sich mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten daran beteiligt haben und 55% der Stimmenden auch Ja gestimmt hätten. Eine Minderheit von 46% der Stimmenden hätte also eine Mehrheit von 54% hindern können, ihren Willen durchzusetzen.
Es scheint, dass die Montenegriner gerade noch eben verhindern konnten, dass das Feuer, mit dem die EU aus vermeintlich strategischen Gründen spielte, entflammt ist. Hoffentlich eine heilsame Lehre für die EU, die von der Organisation von Eliten-Arrangements mehr versteht als von der Festsetzung der Regeln für faire Volksentscheide.
Andreas Gross
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