25.09.2002

AL02CR28
Protokoll ER

Russlands Öl und Georgiens Existenzängste

GROSS (Schweiz). Danke Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Ich denke, wir müssen Frau Lörcher dankbar sein, dass sie uns die Gelegenheit gibt, uns hier über die Verhältnisse zwischen Georgien und Russland auszusprechen. Wenn sie das mit ihrem sehr guten Bericht nicht getan hätte, hätten wir dazu eine dringliche Debatte haben müssen.

Ich glaube, es gibt in der Politik selten Zufälle. Deshalb ist es kein Zufall, dass zwei Dinge gleichzeitig geschehen sind:

Erstens. Herr Putin hat drei Stunden vor der Rede von Herrn Bush gesagt, dass Georgien die gleichen Fehler mache wie der Irak. Er hat damit insinuiert, dass er ebenso wie Herr Bush das Recht habe, militärisch präventiv einzugreifen.

Es ist zweitens kein Zufall - wir haben gestern von der Kollegin Tevdoradze gehört, was das bei der georgischen Bevölkerung bewirkt, dass es dort eine enorme Existenzangst gibt; sie hat bereits erklärt, wir sollten sie aufnehmen -, dass in dem Moment, da Putin einen solchen Diskurs eröffnet und sich sozusagen hinter dem grossen Bruder, der auch einen grossen Fehler zu machen droht, versteckt, der Baubeginn für die Pipeline zwischen Baku, Tbilissi und der Türkei erfolgte. Sie dient der Ölförderung im kaspischen Meer. Dort sind die drittgrössten Ölvorkommen in der Welt.

Die Russen haben Angst, dass jetzt eine Pipeline gebaut wird, die nicht durch ihr Gebiet verläuft. Wenn man so viel Ö1 hat, kann man es durchaus mit zwei oder drei Pipelines fördern. Es ist nicht erforderlich, solche Unsicherheiten zu erzeugen, um zeigen zu wollen: Dort kann das Ö1 nicht sicher durchtransportiert werden. So bringt man eine ganze Nation in Bedrängnis und ruft bei ihr Existenzängste hervor.

Im Namen der sozialdemokratischen Gruppe möchte ich klar sagen, dass solche aggressiven Drohungen ohne völkerrechtliche Abdeckung, einfach um anderen Nationen Gewalt anzudrohen, mit dem Status eines Europaratsmitglieds inkompatibel sind.

Ich könnte viele ähnliche Zitate anführen, beispielsweise solche des Generalstabschefs der russischen Armee, der die georgische Führung mit dem Talibanführer Mullah Omar vergleicht. Das bewirkt bei unseren georgischen Kolleginnen und Kollegen mit Recht Angst. Das nimmt ihnen das Vertrauen in den Europarat, den sie als Rechtsgemeinschaft und auch als Sicherheitsgemeinschaft verstehen. Wenn in diesem Europarat jemand glaubt, man könne das Recht schützen, indem man es infrage stellt, handelt es sich um einen prinzipiellen Irrtum.

Wenn andere sagen, wenn es nicht mit der UNO geht, dann machen wir es auch alleine, dann heisst das nicht, dass hier im Europarat das Gleiche passieren darf. Der Standard im Europarat ist noch höher als jener in der UNO. Aber auch dort ist er schon hoch. Wenn wir glauben, wir könnten Recht und Gerechtigkeit mit ungerechten und illegalen Mitteln schützen, dann begehen wir einen Riesenfehler und werden dadurch weitere Fehler provozieren. Diese Verantwortung können wir nicht auf uns nehmen.

Wir müssen alles tun - ich finde es gut, wenn dies der Präsident unserer Versammlung oder auch der Generalsekretär tut -, um diesen Konflikt und diesen Krieg zu verhindern. Wir müssen den Russen ganz genau sagen: Es gibt keine Rechtfertigung, hier militärisch vorzugehen, denn vieles könnte zunächst einmal politisch geklärt werden. (Beifall)

Andreas Gross

 

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