22.08.2002
Yeni Müsavat
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Zu viele stehen einander zu unversöhnlich gegenüber
Das Gespräch führte Kamil Taqisoy, Korrespondent der Aserbaidschanischen Zeitung Yeni Müsavat
Wie bewerten Sie Ihren letzten Aufenthalt in Aserbaidschan bzw. Ihre Reise?
Es war ein politischer Erfolg, dass sie überhaupt zustande kam. Einigen Vertretern der Macht hat sie überhaupt nicht in den Kram gepasst. Teilweise war denn auch der Empfang von offizieller Seite frostig und einige sonst übliche Gesprächspartner haben sich dem Gespräch leider verweigert. Auf der anderen Seite, bei Vertretern der Opposition und der Zivilgesellschaft, war der Empfang umso herzlicher. Ich hatte den Eindruck, dass diejenigen, die mich nicht gerne kommen sahen, zu skeptisch waren, während auf der anderen Seite die Erwartungen und Hoffnungen, die in mich gesetzt werden, vielleicht zu gross sind. Ich kann nicht besorgen, was die engagierten Menschen in Aserbaidschan zustande bringen müssen.
Welche Momente würden Sie in Ihrem Bericht nach dieser Reise in Aserbaidschan besonders hervorheben?
Was den Bericht im Rahmen des Monitoring-Prozesses an die Parlamentarische Versammlung betrifft, so ist zu betonen, dass wir den zu zweit machen und in der Kommission zuerst diskutieren. Alles was ich sage, ist folglich nur meine persönliche Meinung und nicht zu verwechseln mit der Meinung, die dann im Bericht zum Ausdruck kommen wird, denn dafür braucht es Mehrheiten und wie immer in der Demokratie auch Kompromisse. Ich werde persönlich versuchen herauszustreichen, wie instabil die politische Situation in Aserbaidschan ist; wie wenig sich bisher die Demokratie hat konsolidieren können. Es kann jederzeit alles passieren in Aserbeidschan und dies muss uns zu denken geben. Zu viele stehen einander zu unversöhnlich gegenüber. Zudem geht es zu vielen Menschen zu schlecht, was im Falle des Ausbruchs einer politischen Krise deren demokratische und zivilisierte Bewältigung noch schwerer macht.
Wie werden Sie die demokratische Situation in Aserbaidschan, den Druck auf politische Parteien und deren Mitglieder, sowie die Lage der politischen Häftlinge in Ihrem Bericht berücksichtigen?
Wir werden all diese Aspekte bearbeiten, weil sie alle Verpflichtungen betreffen, welche Aserbaidschan eingegangen ist, als es Mitglied wurde des Europarates. Das Recht auf freie Meinungsäusserung, auf die freie Versammlung, auf freie Organisation, dies sind alles unerlässliche Säulen der Demokratie und der Menschenrechte und diese Säulen sind in Aserbaidschan noch viel zu wenig gefestigt und verankert. Ob Freiheit herrscht, lässt sich immer am Umgang mit Andersdenkenden messen. Wer diesen Massstab in Aserbeidschan heute ansetzt, der wird enttäuscht und diese Enttäuschung lässt sich weder mit den weltpolitischen Gefahren in dieser Region, den Interessen anderer Mächte, den Tragödien und den Folgen des letzten Krieges noch mit der Besetzung eigenen Territoriums erklären oder begründen und schon gar nicht rechtfertigen.
Wie Sie wissen, hat Haydar Aliev zwei Präsidentschaftswahlen, zwei Parlamentswahlen, ein Referendum und die Munizipalwahlen in Aserbaidschan fast vollständig verfälscht. Das aserbaidschanische Volk hofft während der Herrschaft von H. Aliev nicht auf Nichtmanipulierte Wahlen. Wie wird nach Ihrer Meinung der Europäische Rat und die demokratische Öffentlichkeit in dieser Situation auf die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr reagieren?
Dies ist eine schwierige Frage. Sie enthält zu viele Unbekannte, als dass eine Antwort so einfach möglich wäre. Ich bin mir auch nicht sicher, was «fast vollständig verfälscht&rauqo; heisst und ob jemand wirklich sagen kann, was «das Volk hofft&rauqo;. Sicher scheint mir, dass es Fortschritte gab bezüglich der Regularität der Wahlen und dass auch der Präsident seinen guten Willen zum Ausdruck gebracht hat. So ist es in postsowjetischen Gesellschaften noch nie vorgekommen, dass Wahlen in so vielen Bezirken wiederholt worden sind, wie dies im Winter 2000/2001 vorgekommen ist.
Es gibt auch in der Dämmerung Lichtblicke - die politische Kunst ist es, sie zu sehen und sie zu mehren. Wer allzu hoch über die Erde fliegt, dem erscheint alles grau in grau und dies hilft niemanden politisch weiter.
Im übrigen bin ich nicht der einzige Vertreter des Europarates, der nicht bereits festgestellt hat, dass eine dritte Amtsdauer des Präsidenten dem Geist der Verfassung widerspricht. Sie ist formaljuristisch zu vertreten, doch in der Praxis gilt es nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist der Verfassung zu achten. Diese sieht vor, dass ein Präsident wie beispielsweise auch in den USA nur zwei Amtszeiten amtieren sollte und dies gilt auch sinngemäss für den Präsidenten, der zwei Jahre vor Inkrafttreten der Verfassung sein Amt angetreten war. Ich wundere mich also, weshalb er nicht auch die Amtszeitbeschränkung in der Verfassung in den Katalog der im Zuge des kommenden Referendums zu ändernden Verfassungsbestimmungen aufgenommen hat, dann hätte man viel weniger Einwände vorbringen können gegen eine dritte Amtszeit.
Herr Gross, nach der Deklaration des Aserbaidschanischen Aussenministers über Sie, haben Sie gesagt, dass es Unmöglich ist, mit H. Aliev einen Dialog zu führen. Sind Sie immer noch der selben Meinung und wie lange könnte es dauern, bis die europäischen Politiker auch der selben Meinung sind.
An eine solche Aussage kann ich mich nicht erinnern; sie widerspräche auch völlig meiner persönlichen Einstellung. Denn ich würde niemals sagen, es sei unmöglich, mit einem Vertreter eines Staates einen Dialog zu führen. Ich würde es immer wieder versuchen, auch wenn es noch so schwierig und deprimierend ist. Denn eine legitime Alternative zum Dialog gibt es nicht, alles andere wäre eine Katastrophe.
Im übrigen habe ich im direkten Gespräch mit dem Präsidenten bessere Erfahrungen gemacht als in Gesprächen mit anderen Vertretern der Macht in Aserbaidschan. Ich habe manchmal den Eindruck, andere Gefolgsleute des Präsidenten hätten manchmal mehr Schwierigkeiten mit einem kritischen und offenen Dialog als er selber und sie merken nicht, wie sehr sie damit seiner Sache einen schlechten Dienst erweisen.
Was den Aussenminister betrifft, so scheint er mich schlecht zu kennen; jedenfalls beziehe ich seine Äusserungen nicht auf meine Person; vielleicht passen ihm manchmal einige Aussagen von mir nicht, das wäre aber noch kein Grund, einen Menschen oder einen Parlamentarier, der ja auch nur ein Mensch ist, zu verunglimpfen.
Im Unterschied zu den anderen Abgeordneten, die aus dem Europäischen Rat nach Aserbaidschan kamen, sind Sie immer wieder derjenige, der die Fakten klar und scharf darlegt. Das heisst, wir können es bezeugen, dass die vor Ihnen nach Aserbaidschan gekommenen Kollegen in Restaurants zusammen mit Aliev's Beamten gegessen, getrunken und sich sogar mit Bauchtänzerinnen amüsiert haben.
Warum konnten keine solchen Beziehungen zwischen A. Gross und Aliev's Beamten entstehen?
Ich habe mit einigen Beamten des Präsidenten durchaus ein gutes Gesprächsverhältnis und wir können oft recht fruchtbar miteinander diskutieren, ja sogar streiten. Und was die Bauchtänzerinnen betrifft, so wissen Sie besser als ich, dass die oft in älteren guten Restaurants in Baku auftreten, ganz unabhängig davon, wer dort gerade speist. Ich war auch schon bei deren Auftritten dabei; dass muss aber nicht heissen, dass ich mich «mit ihnen amüsiert» hätte; mir ist es ehrlich gesagt manchmal eher peinlich.
Und was meine Kollegen betrifft, so hat jeder einen eigen Stil und einen eigenen Weg, wie er glaubt zum Ziel kommen zu können. Doch ich kenne einige wie beispielsweise meinen belgischen Freund und Kollegen Georges Clerfayt, der nicht weniger offen und hart sprechen kann wie ich.
Herr Gross, meiner Meinung nach ist der Grund, warum die anderen europäischen Politiker gegen H. Aliev keinen Widerstand leisten, die wirtschaftlichen Interessen deren Länder.
Das heisst, ein französischer oder ein englischer Politiker leisten gegen Aliev keinen Widerstand, damit die Interessen der Unternehmen deren Länder, die im Erdöl und anderen Bereichen tätig sind, nicht verloren gehen und weiterhin gepflegt werden. Weil die Schweiz in Aserbaidschan keine wirtschaftlichen Interessen hat, unterstützt A. Gross nicht irgendwelche unternehmerischen Interessen, sondern die Demokratie in Aserbaidschan. Ist meine Meinung so richtig?
Ich verstehe Ihre Überlegung, glaube aber, dass sie so allgemein formuliert zu einfach ist. Gewiss gibt es Kollegen aus anderen Ländern, die mehr auf deren wirtschaftliche und andere Interessen achten als ich. Doch es gibt auch schweizerische Kollegen, die weniger offen reden und noch vorsichtiger wären als ich es auch sein muss. Ich kenne aber auch belgische, britische und holländische Kollegen, die trotz deren eigenen Ölindustrien klare und mutige Standpunkte vertreten. Es kommt nicht nur auf die nationale Herkunft an, sondern auch auf die politische Kultur, in der man gross geworden ist, auf die Werte und Prinzipien, die man hat und auf das Engagement und die Perspektiven, die man auch dann zum Ausdruck bringen möchte im Interesse der grossen Mehrheit der Menschen, auch wenn dies einigen wenigen nicht passt.
Sie haben sich bei Ihrer letzten Reise in Aserbaidschan nicht mit Aliev und seinem Sohn getroffen. Haben Sie keine Initiative gezeigt, oder haben die Ihre Initiative abgelehnt?
Ich habe mich wie immer bemüht, sowohl den Staatspräsidenten als auch seinen Sohn, den Präsidenten der aserischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, zu treffen, so wie dies üblich ist bei solch offiziellen Reisen. Doch ein Gast kann nie bestimmen, wer von den Gastgebern mit ihm reden will. So war ich sehr zufrieden mit jenen, mit denen ich sprechen konnte, und hoffe, dass jene, die keine Zeit hatten oder sonst wie verhindert waren, das nächste Mal wieder mich treffen wollen und werden.
Sie haben sich während Ihrer Reise nicht mit den Journalisten getroffen. Wollten Sie es nicht, oder hat die Regierung es verhindert?
Als ich um vier Uhr morgens im Flughafen ankam, scheinen offenbar wirklich etwa 60 Journalisten auf mich gewartet zu haben und die Offiziellen, die mich erwartetet haben, wussten, wo sie mich entlang führen mussten, damit ich diese Journalisten gar nicht sah und auch nicht mit ihnen sprechen konnte.
Im übrigen hat die Regierung oder sonst wer aber keine Kontakte verhindern können. So baten mich die Redaktoren des «Echo» um ein langes Gespräch, hielten sich wie Sie auch an die gemachten Vereinbarungen und das Gespräch kam am Ende des Besuches, drei Stunden, bevor ich früh morgens wieder abflog, auch zustande.
Während eines Besuches sollte man nicht immer wieder Interviews geben und schon gar nicht zwischen Tür und Angel irgendwelchen TV-Journalisten, die hoch komplexe Fragen unangemeldet in einem Satz beantwortet haben wollen. Diese Fragen stellen sie oft nicht, weil sie Interesse haben, sich mit einer differenzierten Meinung auseinander zu setzen, sondern eher, um Material zu bekommen, um einen schlecht zu machen.
Werden Sie das Referendum am 24. August als Beobachter besuchen? Wird der Europäische Rat Beobachter zu diesem Referendum schicken?
Für eine offizielle Beobachtungsmission sowohl des Europarates wie auch übrigens von ODHIR, der entsprechenden Organisation der OSZE, wurde dieses sogenannte Referendum viel zu kurzfristig angesetzt. Das haben wir den Verantwortlichen übrigens auch direkt zum Ausdruck gebracht; es war ein weiterer Grund, weshalb man das Referendum später hätte ansetzen müssen, dies wäre nicht nur im Interesse der Sache, der Bürger Aserbeidschans sondern auch der Internationalen Organisationen gewesen. Doch auch ohne offizielle Beobachtermission ist eine Präsenz zumindest der für das Monitoring Aserbaidschans in der Parlamentarischen Versammlung verantwortlichen vor Ort wichtig, denn wir sollten möglichst viel aus eigener Anschauung beurteilen können und möglichst wenig nur aus dritter Hand wissen. Deshalb werde ich am 24. August dabei sein und alles tun, um einen wahrhaften Eindruck von der Durchführung des Referendums zu bekommen.
Andreas Gross
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