30.09.2002

Neue Zürcher Zeitung
Seite 5

Russisch-georgischer Konflikt im Europarat

Mahnungen an Putin - Bericht zu Aserbeidschan

Der Europarat in Strassburg hat Russland wegen militärischer Gewaltanwendung auf georgischem Gebiet verurteilt. Solche Aktionen seien keinesfalls durch die Uno-Resolutionen gegen den Terrorismus gedeckt. Der Rat beschloss, eine Delegation mit Vertretern beider Länder zur Klärung der Fakten in die Krisenregion zu entsenden.


uth. Strassburg, 29. September

Die erst in den vergangenen zwei Jahren in den Europarat aufgenommenen drei Kaukasusregionen Georgien, Armenien und Aserbeidschan erfordern wegen ihrer fortbestehenden inneren Instabilität und der latenten Konflikte mit Nachbarstaaten ständige Aufmerksamkeit von der Strassburger Staatenorganisation. In einer Entschliessung zur Lage in Georgien und vor allem zur gegenwärtigen Krisensituation an der georgisch-russischen Grenze hat die Parlamentarische Versammlung Russland wegen der Anwendung von militärischer Gewalt auf georgischem Staatsgebiet verurteilt, da diese keinesfalls durch die Uno-Resolutionen gegen den Terrorismus gedeckt sei.

Ölinteressen als Konfliktstoff?

Der Schweizer Nationalrat Andreas Gross meinte in der Aussprache, es sei kein Zufall, dass Russlands Präsident Putin nur drei Stunden vor der Rede von Präsident Bush zum Irak erklärt habe, dass Georgien mit der Unterstützung von tschetschenischen Terroristen die gleichen Fehler mache wie der Irak, und daraus ein Recht Moskaus zur militärischen Intervention ableite. Ein Zufall sei es sicherlich auch nicht, dass die Probleme des Landes eher gewachsen seien, seitdem die geplante Erdölpipeline vom Kaspischen Meer in die Türkei konkrete Gestalt annehme und das Land wieder stärker in eine Konfliktlinie der Interessen von Moskau und Washington gerate.

Die Regierung in Tbilissi wiederum solle jede Unterstützung für Kräfte vermeiden, die Konflikte mit Gewalt zu lösen versuchten. Verbunden mit der Aufforderung, den politischen Dialog wieder aufzunehmen, beschloss die Versammlung, eine aus russischen, georgischen und Europarats-Politikern zusammengesetzte «FactFinding-Mission» in die Krisenregion zu entsenden. Diesem Vorschlag des österreichischen Präsidenten der Versammlung hatten beide Delegationen unmittelbar vor der Debatte zugestimmt.

Armenien und Aserbeidschan

Im Fall von Armenien und Aserbeidschan standen in der Versammlung Berichte darüber an, wie weit beide Länder in der Erfüllung ihrer bei der Aufnahme eingegangenen Verpflichtungen zur Erreichung der Europaratsnormen vorangekommen sind. Beiden Ländern wurde unmissverständlich klar gemacht, dass sie so lange nicht damit rechnen können, aus dem Beobachtungsverfahren der Strassburger Organisation entlassen zu werden, solange sie ihrer Verantwortung zur Lösung des Konflikts um die Enklave .Berg-Karabach nicht nachgekommen sind. Im Übrigen wird Armenien bescheinigt, bei der Übernahme des Vertragswerks des Europarates beträchtliche Fortschritte gemacht zu haben, mit Ausnahme der Reformen im Justizbereich. Als keinesfalls hinnehmbar wird der Beschluss des armenischen Parlaments bezeichnet, die Todesstrafe für bestimmte Personen beizubehalten. Sollte bis Juni 2003 nicht die Abschaffung der Todesstrafe beschlossen sein, wird der armenischen Abgeordnetendelegation der Ausschluss aus der Versammlung in Strassburg angedroht.

In dem Bericht zu Aserbeidschan werden in diesem Land nur einige formale Fortschritte zur Erreichung der Europarats-Standards festgestellt. So fehle es noch stark an dem für funktionierende Demokratien notwendigen Bewusstsein eines fairen gegenseitigen Umgangs im politischen Kräftespiel, wofür auch die mangelnde Meinungs- und Medienfreiheit ein Indiz sei. Auch darauf sei wiederum die geringe Ausbildung einer stabilen Zivilgesellschaft zurückzuführen. Als völlig in akzeptabel wird die weitere Existenz von politischen Gefangenen bezeichnet, auch wenn viele schon freigelassen worden seien. Als einen nicht unwichtigen Fortschritt sieht es Gross als Ergebnis seiner unzähligen Gespräche mit den politischen Verantwortlichen des Landes an, dass die aserischen Abgeordneten seinem Bericht und der Entschliessung trotz der langen Mängelliste zugestimmt haben.

Andreas Gross

 

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