12. Juli 2002

NZZ, Ausland, Seite 5

Aserbeidschan widersetzt sich
Überprüfung im Europarat


Berichterstatter als unerwünscht erklärt

uth. Strassburg, 11. Juli

Droht Aserbeidschan ähnlich wie Weissrussland nach wenigen Jahren der Unabhängigkeit in ein totalitäres Regime zurückzufallen? Diese Frage ist beim Europarat in Strassburg immer öfter zu hören, da sich die transkaukasische Republik zunehmend weigert, sich einer Überprüfung der Einhaltung seiner Verpflichtungen als Mitglied zu unterziehen. Über die Fortschritte beim Reformprozess des Landes soll im September in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ein Bericht verabschiedet werden. Dieser Zeitplan ist nun in Frage gestellt, weil einer der beiden Berichterstatter, der Schweizer Nationalrat Andreas Gross, vor einer erneuten Erkundungsreise in der kommenden Woche nach Aserbeidschan von der Regierung in Baku zur unerwünschten Person erklärt wurde.

Dem Europarat wurde mitgeteilt, Gross werde zwar die Einreise nicht verweigert, doch könne die Regierung seine Sicherheit nicht garantieren und es werde dem Europaratsdelegierten kein offizieller Gesprächspartner zur Verfügung stehen. In dieser Situation wird in Strassburg überlegt, ob die Mission überhaupt noch Sinn ergibt und ob im September nicht ein Zwischenbericht vorgelegt werden soll, in dem erst einmal nur die offensichtlichen Versäumnisse der Regierung gegenüber den bei der Aufnahme des Landes eingegangenen Verpflichtungen dargestellt werden.

Diffamierungskampagne aus Baku

Aserbeidschan war im Januar 2001 wegen massiver Wahlfälschungen bei den vorangegangenen Parlamentswahlen nur mit erheblichen Bedenken in den Europarat aufgenommen worden. Weil es bei der Verwirklichung von Europaratsnormen wie kaum ein anderes Land im Rückstand war, verpflichteten sich Präsident, Regierung und Parlament zu einem umfangreichen Reformprozess, über dessen Fortschritt der Europarat wacht.

Gross, der im Jahr 2000 auch Leiter der Wahlbeobachtung des Europarats in der Kaukasusrepublik war und einige besonders schwerwiegende Wahlfälschungen persönlich aufgedeckt, aber im Sinne einer Hilfestellung damals erfolgreich für die Aufnahme des Landes plädiert hatte, war schon seit Wochen Zielscheibe einer aus Baku inszenierten Diffamierungskampagne, die die Einsetzung eines anderen Berichterstatters erreichen sollte. Ähnlich war es im Januar dem belgischen Abgeordneten Georges Clerfayt ergangen, der einen Bericht über politische Gefangene in Aserbeidschan vorgelegt hatte, welcher zu einer Verurteilung des Landes wegen des Verstosses gegen die Europaratsnormen geführt hatte.

Andreas Gross

 

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