13.11.1999
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Kutschmas Stichwahl
Der ukrainische Wahlkampf ist unfair verlaufen. Die Rechtmässigkeit des Urnenganges ist umstritten.
Von Zita Affentranger, Kiew
Bei der ersten Runde der ukrainischen Präsidentenwahlen vor zwei Wochen haben hier und dort Stimmzettel oder Werbeplakate der Oppositionskandidaten gefehlt. Die Bilanz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats lautete: Die Abstriche seien auf Organisationsmängel oder Unachtsamkeit zurückzuführen und hätten das Wahlresultat nicht beeinflusst. Bei der Stichwahl am Sonntag dürfte der Befund nicht anders sein.
«Nur Verrückte betrügen am Wahltag», sagte Simon Osborn, der Chef der OSZE-Wahlbeobachter. Wie schon bei den Parlamentswahlen letztes Jahr lief im Vorfeld des Urnenganges einiges schief. OSZE wie Europarat kritisieren den Verlauf der Wahlkampagne seit Wochen. Der amtierende Präsident Leonid Kutschma war omnipräsent. Die Kiew-Post hat berechnet, dass Kutschma in einer Woche über fünf Stunden lang im Fernsehen zu sehen war. Kritische Berichte beanspruchten dabei nur gerade zehn Minuten. Die vier wichtigsten Gegenkandidaten brachten es zusammen auf dieselbe Sendezeit, der Anteil an Negativdarstellung war markant höher. Zeitungen und vor allem Fernsehstationen, die nicht rückhaltlos den Präsidenten unterstützten, wurden drangsaliert oder gar geschlossen.
Fleissige Helfer
Die übergrosse Präsenz Kutschmas ist nicht ohne Folgen geblieben. Nationalrat Andreas Gross, der als Wahlbeobachter auf der Krim war, berichtet etwa von Wählerinnen und Wählern, die erst im Stimmlokal festgestellt haben, dass der Präsident auch Gegenkandidaten hat. Die Wahlbeobachter kritisierten auch, dass Kutschma den Staatsapparat fleissig für sich agitieren liess. In einem Forstinstitut nahe Kiew rührte der Chef für den Präsidenten die Wahltrommel und sass gleichzeitig in der Wahlkommission - überzeugt, dass seine Präsenz im Wahllokal keinen Einfluss auf seine Untergebenen habe. Postbeamte mussten für Kutschma Wahlmaterial verteilen. Ganze Fabriken oder Schulen wurden aufgefordert, für den Präsidenten zu stimmen.
«Für mich ist die Wahl nicht legitim», sagt ein westlicher Beobachter klipp und klar. «Im Wahlkampf waren die Spiesse eindeutig nicht gleich lang. Der Präsident hat Wahlgesetze gebrochen.» Andreas Gross formuliert es vorsichtiger: «Die Legitimität der Macht ist sicher nicht über jeden Zweifel erhaben.» Die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Wahl stehe allerdings nicht zur Debatte. Der Europarat hat die Ukraine wiederholt wegen Machtmissbrauchs und mangelnder Freiheit der Presse kritisiert. Dem Land droht die Suspendierung, wenn bis Ende Jahr keine substanziellen Fortschritte bei der Demokratisierung gemacht werden.
«Menschen sind nicht frei»
Manche Ukrainer orten das Grundproblem weniger bei der Staatsmacht als bei den Wählern. «Die Wahl war frei. Das Problem ist, dass die Menschen nicht frei sind», meint Jaroslaw Jatzkow von der Akademie der Wissenschaften. Eine ältere Frau sei auf dem Weg zur Urne gefragt worden, wem sie ihre Stimme geben werde. Sie habe lächelnd geantwortet: «Ich weiss es noch nicht, aber das werden mir die Helfer im Wahllokal schon sagen.» Viele, vor allem ältere Menschen, seien an die Demokratie noch nicht gewöhnt, sagt Jatzkow. «In den Fabriken zum Beispiel haben viele Arbeiter einfach so abgestimmt, wie der Chef es ihnen gesagt hat. Wie früher.»
Sergei Piroschkow, der den Präsidenten im Wahlkampf unterstützt hat, will Kritik an Kutschma zwar nicht gerade in Bausch und Bogen verwerfen. Er sei jedoch nicht überzeugt, dass der ukrainische Wahlkampf undemokratisch gewesen sei. «Zum Beispiel sind am Wahlabend alle Kandidaten am Fernsehen aufgetreten.» Dass das etwas spät war, gibt er ungern zu. Eine Journalistin kommentiert solche Rechtfertigungen in der Zeitung "Den" giftig: «Ich bin ja so dankbar, dass die Tür jetzt abgeschlossen ist, nachdem das Pferd gestohlen worden ist.»
Andreas Gross
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