18.10.2002

St.Galler Tagblatt

Direkte Demokratie exportieren?

Das Institut für Initiativen und Referenden in Amsterdam will direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild in Europa durchsetzen. Die Schweiz könnte mit ihrer direkten Demokratie zum Vorbild für die EU werden. Ein Institut in Amsterdam arbeitet seit zwei Jahren daran, Initiativen und Referenden in Europa durchzusetzen.

Steffen Klatt/Brüssel

Das irische Referendum über den Nizza-Vertrag verunsichert Brüssel. Falls das irische Volk morgen Samstag seine Ablehnung vom Juni 2001 bestätigt, könnte die EU-Erweiterung gefährdet sein. Nach dem dänischen Nein zum Maastricht-Vertrag 1992 ist es ein zweites Mal, dass ein kleines Volk die EU mit direktdemokratischen Mitteln aufhält.

Schweiz als Vorbild

Für einige Europa-Politiker ist dies ein Grund für mehr direkte Demokratie, nicht deren Abbau. Bisher hätten die Bürger nur die Möglichkeit, mit Referenden gegen etwas zu protestieren, sagt die finnische Grüne Heidi Hautala. Ihnen sollte aber auch das Recht auf Initiativen gegeben werden. «Wie in der Schweiz», fügt die Präsidentin der Delegation EU-Schweiz des EU-Parlaments hinzu. «Die Bürger wollen nicht länger Zuschauer sein.» Auch für die britische Liberale Diana Wallis wäre die direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild eine Möglichkeit, die Kluft zwischen den Bürgern und der EU zu überbrücken. «Das Schweizer Modell hat uns viel zu bieten», sagt die EU-Abgeordnete. Sie bedauert deshalb, dass die Eidgenossenschaft nicht im Konvent vertreten ist, der eine EU-Verfassung vorbereitet. Sowohl Hautala als auch Wallis gehören dem Beirat des Instituts für Initiativen und Referenden in Amsterdam an. Gegründet vor zwei Jahren, will es Wissenschafter, Politiker und andere Interessierte zusammenbringen, um die Idee der direkten Demokratie in Europa voranzubringen.

Erstmals Länderbewertung

Erstmals hat es in diesem Jahr eine Bewertung der demokratischen Einrichtungen in 32 Ländern vorgelegt. Anfang November wird ein Bericht publiziert, der die bisher 30 Referenden über die EU und den Euro untersucht. Analysiert werden auch die Chancen, dass die künftige EU-Verfassung 2004 den Völkern vorgelegt wird. Für Anfang des Jahres 2003 ist ein erstes Handbuch der direkten Demokratie vorgesehen. Finanziert wird die Arbeit des Instituts vor allem durch Spenden. Gegründet werden soll ein Förderverein in der Schweiz.

Luzern statt Amsterdam?

Wenn das Institut in Amsterdam untergebracht ist und nicht in Luzern, wo Institutsdirektor Bruno Kaufmann wohnt, dann hat dies auch mit der Nicht-Mitgliedschaft in der EU zu tun. «Es ist nicht angebracht, dass eine europäische Institution sich in der Schweiz befindet, weil sie sonst als eine Schweizer Angelegenheit angesehen wird », sagt der ehemalige Korrespondent des Tages-Anzeigers in Skandinavien. &rlaquo;Wir hören oft, dass wir nicht dabei sind und nichts zur europäischen Integration beitragen.» Ähnlich sieht es Nationalrat Andreas Gross (SP/ZH), Forschungsdirektor des Instituts. «Wir wollen nicht, dass die direkte Demokratie nur mit der Schweiz identifiziert wird. Es gibt in allen europäischen Ländern Bewegungen in diese Richtung.»

Schweiz verändert Europa

Die Schweiz prägt laut Andreas Gross die EU bereits. «In drei Bereichen hat sie dank ihrer direkten Demokratie die Politik in Europa umgekehrt.» In der Verkehrspolitik, bei den Drogen und in der Landwirtschaft sei sie dank Initiativen und Referenden dort angekommen, wohin die EU-Kommission kommen will. Gross bedauert aber, dass die Schweiz die Bedeutung ihres eigenen Systems oft selbst nicht erkennt. «Sie hat noch nicht gemerkt, dass die direkte Demokratie ein Trumpf in Europa sein könnte.» Zu wenige Schweizer Beamte und Diplomaten hielten diese auf europäischer Ebene für möglich.



Befragt - Heidi Hautala:
«Die Bürger wieder in die Politik einbeziehen»

Frau Hautala ist Präsidentin der Delegation Schweiz-EU des EU-Parlaments

Warum beteiligen Sie sich am Initiativ-Institut in Amsterdam?

Das Schweizer Modell hat der Europäischen Union Wesentliches zu bieten. Es geht dabei nicht nur um die Einführung nationaler Referenden, sondern um eine neue Methode, die Bürger wieder in die Politik einzubeziehen.

Lässt sich das Schweizer Modell auf die EU übertragen?

Man kann es nicht einfach als ein Rezept übernehmen. Wir sollten aber ausprobieren, wie es auf EU-Ebene wirkt. Die Zahl der lokalen Referenden steigt überall in Europa.

Hat die EU nicht vor allem negative Erfahrungen mit der direkten Demokratie gemacht? Das irische Nizza-Referendum von morgen Samstag droht die EU-Erweiterung aufzuhalten.

Es kann nicht schlimmer kommen, die Bürger sind heute weit entfernt von dem, was in der EU passiert. Sie sollen nicht nur mit Referenden die Möglichkeit haben zu protestieren, sondern wie in der Schweiz auch mit Initiativen selber Vorschläge zu machen. (stk)

Andreas Gross

 

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