9. Juni 2018

Bildungsveranstaltung
im Möslihaus

Soziale Ungleichheit und Demokratie


III. Die Entmachtung der Demokratie - und wie die
Demokratie wieder ermächtigt werden könnte


9 Thesen von Andreas Gross

1.
Die Stagnation der Realeinkünfte des ärmeren Drittel der Menschen und das exponentielle Wachstum der Einkommen des reicheren Drittel sind Ausdruck und Folge der Entmachtung der Demokratie. Ebenso die zu­neh­mende Schere zwischen dem Wachstum der Arbeitseinkommen und der Rendite des Kapitals.

2.
Beides führte überall und auf allen Ebenen zu einer enormen Zunahme der ungleichen Verteilung der Lebenschancen. So sehr, dass an vielen Orten der Welt die Legitimität der gesellschaftlichen Ordnung in Frage gestellt wird.

3.
Heute kann der Staat mit seiner nationalen Demokratie gegenüber der transnationalen Wirtschaft mit deren globalen Markt den sozialen Schutz nicht mehr leisten, den vor allem benachteiligte Bürgerinnen und Bür­ger von ihm erwarten. Die nationale Demokratie kann ihre Versprech­un­gen nicht mehr einlösen, welche die Menschen von ihr erhoffen und nötig haben.

4.
Im 19.Jahrhundert gab es in den Staaten verschiedene Märkte, die sie sozial- und umweltverträglich gestalten konnten. Heute gibt es im Markt verschiedene Staaten; diese sind von Subjekten zu dessen Objekte geworden und wetteifern um die besten Investitionsbedingungen.

5.
Die Demokratie gleicht heute dem Steuerruder eines Schiffes, das im Was­ser liegt, dessen Steuerruder aber nicht mehr ins Wasser reicht. Das bedeutet jedoch noch nicht das Ende der Demokratie. Sondern das il­lus­triert die Notwendigkeit der Transnationalisierung der Demokratie. Das Steuerruder der Demokratie muss wieder ins Wasser reichen. Dies wäre durch eine föderalistische europäische Bundesverfassung möglich.

6.
Die EU vermochte die Entmachtung der Demokratie und der Verlust der sozialen Kraft des Staates bisher nicht zu kompensieren; im Gegenteil, sie förderte die Hegemonie von Marktverhältnissen und deren Wett­be­werbs- und Konkurrenzlogiken. Das hat viel mit ihrer Vertragsgrundlage zu tun, die durch eine Verfassung ersetzt werden muss.

7.
Eine sozialpolitisch engagiertere EU setzt deren Demokratisierung vor­aus. Sie muss neu verfasst werden; die Grundlagenverträge müssen durch eine föderalistische Verfassung ersetzt werden. Eine so umge­bau­te, neu begründete und demokratische EU kann kompensieren, was der Staat angesichts globalisierter Wirtschafts- und Marktverhältnisse nicht mehr leisten kann.

8.
Das ist die progressive Alternative zum rückwärtsgewandten Isola­tio­nis­mus, Nationalismus und Populismus. Sie ist aber unser aller Anstrengung wert; auch Schweizerinnen und Schweizer können dazu einiges beitragen.

9.
Nationalstaatlich kann die Macht der Demokratie nicht mehr restauriert werden. Somit werden die sozialpolitischen Möglichkeiten der einzelnen Staaten immer kleiner. Deshalb bedarf die Demokratie zu ihrer neuen Ermächtigung der vierten, transnationalen Ebene - der gleichen, auf der die Wirtschaft funktioniert. Erst diese Erweiterung würde der Gesellschaft erlauben, ihre Ansprüche, beispielsweise ein grösserer Ausgleich der Lebenschancen, und Bedürfnisse, beispielsweise geringere soziale Ungleichheiten, gegenüber der Oekonomie wieder durchzusetzen.


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