3. Sept. 2017

BaZ

«Die Merkel wird’s wieder richten»


Mit offenen Ohren auf den Terrassen dreier norddeutscher Hanse-Städte. -- Im gleichen Moment, da in Frankreich in fast allen Cafés nur noch von den Wahlen die Rede war, ist in Deutschland auf den Marktplätzen und deren Kneipen von den in drei Wochen an­ste­hen­den Bundestagswahlen kaum etwas zu vernehmen. Von aufwüh­len­den Debatten oder nachdenklichen Zwiegesprächen keine Spur. Wer die politischen Befindlichkeiten einiger Bürgerinnen und Bürger eruieren will, muss nachfragen.

Rostock ist eine alte Hansestadt an der Ostsee. 1000 Kilometer nordöst­lich von Basel, mit einer ebenso alten Universität, etwa gleich gross und damit die einzige Großstadt des ärmsten Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Prägend für Rostock war seit jeher sein Hafen in Warne­mün­de. Heute liegt dort neben den alten Werften der grösste deutsche Kreuzfahrthafen. Und am alten Strom, dem Weg entlang der Warne bis zu ihrer Mündung, liegen die vielen Cafés und Kneipen, in denen es sich mit Blick aufs Wasser und die anliegenden Kähne trefflich verweilen und reden lässt. So etwa Zum Niklas, nicht weit von der Klön-Stube entfernt.

Rostock: Keine Aufbruchsstimmung

Doch politisch klönt hier keiner. Nur ganz wenige Kleinplakate erinnern an die anstehenden Wahlen. Zuhörend ist nichts zu erfahren. Wer zu den Wahlen was vernehmen will, muss schon fragen. Vorsichtig und ganz höf­lich. Man merkt rasch, zwei von dreien haben eine Meinung, doch sie reden nicht gerne darüber. Auch Jochen zuckt erst mit den Achseln, als ich ihn frage, ob er schon wisse, wo er sein Kreuz machen werde am 24.September. «Ich erwarte zwar nichts Neues oder Besseres. Doch selbstverständlich gehe ich wählen, und ich weiss auch wen. Doch es wird leider im gleichen Trott weitergehen», meint er völlig desillusioniert. «Die Merkel ist doch nun wirklich schon lange genug an der Spitze. Es sollte endlich jemand Anders ran. Doch das wird nicht passieren. Meine Stimme gebe ich den Grünen; denen trau ich am ehesten zu, dass sie die für eine lebenswerte Zukunft notwendigen Änderungen auch ernst neh­men und einfädeln. Doch auch sie werden die Merkel nicht verhindern können.»

Früher, unmittelbar nach der Wende 1989, habe er die CDU gewählt, sagt Jochen, Montageleiter für Brandschutzanlagen. «Ich glaubte Kohl und seinen Versprechungen über die blühenden Landschaften im neuen Osten. Doch dann fühlte ich mich von ihm getäuscht und schwenkte um. Leider tun dies bis heute zu wenige. Vielen geht es primär um die Sicher­heit; dafür steht die Frau Merkel. Ich sehe dies bei meiner Frau, sie wählt nach wie vor die Bundeskanzlerin, sie kann sich gar nichts Anderes vorstellen.»

Auf der Terrasse sitzen Achim und Klaus bei einem Bier. Sie schauen skeptisch, als ich sie nach ihrer Teilnahme an den Wahlen frage. «Ich weiss noch nicht, ob ich überhaupt hingehe. Denn was ich auch immer wähle, es wird sich doch nichts ändern», meint Achim, der früher zur See fuhr. Klaus, Maschinenschlosser, sagt: «Die Meinung des Volkes wird doch überhört, da kann’ste wählen, wen Du willst. Die AFD wäre die einzig wirkliche Alternative, doch die beschäftigt sich leider vor allem mit sich selber. Doch bezüglich der Flüchtlinge und Ausländer wurden grosse Fehler gemacht. Die kommen aus ganz anderen Kulturen, die lassen sich niemals integrieren.» Doch dies dürfe man eigentlich nicht sagen, fügt Klaus noch hinzu. Und erinnert an den Auftritt der Kanzlerin vor wenigen Tagen auf der Ostsee-Insel Rügen, als sie sich unfähig gezeigt habe, ihren Kritikern wirklich zuzuhören: «Die hat doch die Beziehung zu uns verloren, kann uns nicht mehr verstehen. Diese Herrschaften leben in einer anderen Wirklichkeit; sie bemühen sich auch gar nicht mehr, sich zu erklären und auf unsere Einwände einzugehen.»

Lübeck: «Bin mit der Regierung zufrieden;
was nun wählen, CDU oder SPD?»


125 Kilometer westlich von Rostock liegt Lübeck, die Mutter der Hanse, der mittelalterlichen Handelsgemeinschaft an der Nord- und Ostsee. Lü­beck ist etwa gleich gross wie Rostock und damit die grösste Stadt des nördlichsten Bundeslandes Schleswig-Holstein. Hier heisst der Fluss Trave, an dessen Ufer die Menschen in Dutzenden von Restaurants und Cafés den Sommer geniessen. Und Travemünde liegt 17 km nördlich der Lübecker Altstadt, die von der Ostsee abgeschirmt ist.

Eine der Kneipen an der Ober-Trave heisst Yachtzimmer, hat aber auch jenseits der Strasse eine Terrasse am Fluss. Dort sitzt Getrud und weiss genau, was sie politisch will: «Früher gehörte ich zur SPD-Basis, in den 1990ern half ich den Grünen, heute wähle ich die Linke. Nur sie sind mir radikal und mutig genug. Die Linke will auch keine Militäreinsätze im Aus­land, ist offen für neue Formen der Sozialpolitik wie das allgemeine, be­dingungslose Grundeinkommen und für eine solidarischere Europa­po­li­tik.» Getrud, eine Lehrerin, ist einige der wenigen, die ich traf, die gerne über Politik reden. «Ich würde alles tun, damit Frau Merkel endlich ge­stürzt wird. Doch das wird kaum möglich sein. Zu unangreifbar hat sie sich gemacht. Sie wartet einfach ab, sitzt wie früher ihr Lehrmeister Kohl die Probleme aus und überrascht dann nach den Wahlen doch mit Kehrt­wen­dungen, die niemand erwartet hätte.» Getruds Konsequenz: «Ich würde wie in den USA die Amtszeit eines Bundeskanzlers auf zwei Wahl­perioden beschränken. Etwas personelle Erneuerung würde der Politik der Regierung nur gut tun.» Doch Getrud fühlt sich mit ihren Hoffnungen auf einen Regierungswechsel allein auf weiter Flur: «Der Schröder hat der SPD die Seele genommen. Seither hat diese bei Vielen an Glaub­wür­dig­keit verloren und kommt nicht mehr auf Touren. Wie soll eine Partei für Gerechtigkeit einstehen, wenn Viele der Überzeugung sind, sie hätte in ihrer letzten Kanzler-Zeit viele Ungerechtigkeiten geschaffen, die zwar dem Wachstum und Export der Wirtschaft gut getan haben, viele Leute aber zum Mindestlohn arbeiten lässt, von dem man kaum leben kann.»

Drei Tische weiter flussaufwärts sitzt ein Ehepaar, beide zwischen 50 und 60 Jahre alt. Sie wissen noch nicht, ob sie wählen gehen sollen. «Eigent­lich bin ich sehr zufrieden; die Merkel hat einen guten Job gemacht, doch ich frage mich, ob ich sie nochmals wählen soll», meint er, Georg, ein Ser­vice-Techniker im Bereich Maschinenbau. Sie, Gertrud, zweifelt eben­so, weiss nicht, für wen sie sich entscheiden soll: «Ich finde auch, dass die Regierung gute Arbeit geleistet hat. Doch zu dieser Regierung gehört ja auch die SPD, nicht nur die Merkel. Soll ich nun also der SPD meine Stimme geben, wenn ich mit der Regierung, vor allem auch mit Aus­sen­minister Gabriel zufrieden bin? Ich weiss es einfach nicht.»

Lüneburg: «Die Merkel gewinnt wieder»

Nochmals 100 Kilometer entfernt, diesmal südlich, liegt Lüneburg, eine weitere Hansestadt. Bereits in Niedersachsen, liegt Lüneburg aber sehr nahe an der Grenze zu Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vor­pom­mern. Sie gehört nicht zu den Küstenstädten wie die meisten anderen Hansestädte, sitzt seit Jahrhunderten aber auf einem Salzstock und hatte ein entsprechendes Monopol. So lieferte Lüneburg auf einem eigens ge­bauten Kanal während Jahrhunderten das für die Konservierung des Fisches aus dem Norden unerlässliche Salz nach Lübeck und Hamburg, den beiden lange Zeit wichtigsten Handelszentren. Wie reich Lüneburg so wurde, sieht man heute noch an den vielen schmucken Fachwerk­bau­ten. Am Fischmarkt liegt die Kanzlei von Dirk, den ich aber nicht im Kon­tor, sondern vor der Garage beim Chatten treffe.

«Ich habe nicht den Eindruck, dass es darauf ankommt, wo ich das Kreuz machen werde am 24. September. Bisher habe ich im Nachhinein immer gedacht, ich hätte es falsch gemacht. Ich möchte wirklich, dass sich einiges ändert, weiss aber nicht, wie ich das am besten zum Ausdruck bringen kann. Die SPD, die ich bisher immer wählte, und die Grünen haben doch viel Schwung verloren. Der FDP traue ich nicht viel Neues zu. Die AFD kommt nicht in Frage. Werde mich wohl erst im letzten Moment entscheiden. Bis dann schaue ich mir die Debatte der beiden Spitzenkandidaten am Sonntagabend an und überlege weiter.»

Auf der Terrasse an der durch die Altstadt fliessenden Ilmenau, die 30 Ki­lometer nördlich in die Elbe mündet, sitzen der pensionierte Deutsch­leh­rer Jochen und sein ehemaliger Schüler Omar, aus dem Libanon ein­ge­wan­dert, heute Juwelier, bei zwei Eiskaffees. Jochen sagt gleich felsen­fest: «Es ist alles schon gelaufen. Merkel wird weiterregieren. Wir haben es doch mit einer Personenwahl zu tun und da kann die Konkurrenz nichts Gleichwertiges bieten. Schulz fehlt ganz einfach die Kompetenz; mehr als Europa hat der nicht drauf.» Und Omar ergänzt: «Früher war ich ein Schröder-Anhänger, doch diesmal werde auch ich Merkel wählen. Ich mag ihre Art der Politik.»

Auf den Einwand, die Bundeskanzlerin sage ja wenig zu ihren Absichten für die kommenden vier Jahre, meint Jochen: «Da haben Sie recht. Das war schon immer ihre Art. Sie lässt die anderen Vorschläge und Fehler machen. Sie hat ein ganz eigenes Verständnis von Wahlen. Sie will sich kein sachpolitisches Mandat holen, sondern einfach die Stimmen der Leu­te, um weiter das machen zu können, was sie für richtig hält. Was das genau sein wird, weiss sie wohl selber auch noch nicht. Dass dies mit De­mokratie eigentlich wenig zu tun hat, stimmt. Es ist auch nicht fair. Doch sie hat dies nun schon zweimal so gemacht und wird es nicht ändern.»

Jochen ist dann auch überzeugt, dass Merkel auch nach diesen Wahlen alle wieder überraschen wird mit Inhalten, von denen sie heute nicht redet. Und betont nochmals, dass er sich bewusst sei, dass dies mit der Idee der repräsentativen Demokratie, in der man vor den Wahlen sagt, was man tun will und sich dafür bei den Bürgerinnen und Bürgern eine Legitimation beschafft, nicht viel zu tun hat. Jochen: «Doch die Merkel hat dies bereits mehrere Male erfolgreich so gemacht. Weshalb soll sie sich dann ändern?» Und auch Omar hört staunend seinem ehemaligen Pro­fessor zu und nickt dann zustimmend: «Sie wird es wieder so machen und gewinnen.»


Kontakt mit Andreas Gross



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