1. April 2017

BaZ
Ausland

Mehr Verzweiflung als Hoffnung
bei Frankreichs Wählern



Paris ist nicht Frankreich. Deshalb ab in die Provinz, auf der Suche nach der politischen Stimmung der France profonde. Wie denken Franzosen, die sich zwischen den Wahlen wenig bis gar nicht um die Politik kümmern, über die Wahlen in drei Wochen?

Von Andreas Gross, Lapalisse (Bourgogne)

Das Departement Allier liegt fast in der Mitte Frankreichs. 500 Kilometer südwestlich von Basel. Nahe dem geographischen Zentrum des Hexa­gons, des Sechsecks, wie die Franzosen ihr Territoire nennen. Eine grüne, sanfte hügelige Landschaft mit vielen Wäldern, grossen Wiesen. Weiter Horizont, einige Flüsse, viele Dörfer und Städtchen und einige grosse alte Schlösser. Diese weisen uns darauf hin, dass wir uns im Land der Bourbonen befinden, die jahrhundertlang das ganze heutige Departement ihr Eigen nannten. Die Bourbonen sind die wichtigste Adelsfamilie Frankreichs. Sie brachten acht Könige hervor, worunter Ludwig der XVI, der Sonnenkönig, wohl der bekannteste gewesen sein dürfte. Sie hinterliessen eine Gegend, in denen die Menschen haupt­säch­lich immer noch von der Land- (vor allem Viehzucht) und Forstwirtschaft leben sowie von einigen kleineren metallverarbeitenden Unternehmungen. Das typisch ländliche Frankreich also, in dem aber lange Zeit – die Bauern waren eher arm, hatten wenig Land und waren vielfach genos­senschaftlich organisiert – politisch eher die Linke dominiert hat.

Also auf, setzen wir uns in das jedem Dorf eigene Café du Marche oder Café Central, meistens gleich neben der Kirche gelegen, in Kombination mit einem kleinen Tabak- und Zeitungsgeschäft. Unter Tags sind nicht viele da. Am frühen Vormittag kommen einige zum ersten Znüni-Kaffee, der Feierabend wird dann von ein paar mit einem Gläschen Roten ein­ge­läutet. Immer sind es mehrere zusammen. Und meist ist dann ganz automatisch von den Wahlen die Rede. Die neuesten Ränkespiele der Topkandidaten werden kommentiert. Man zweifelt, ob die Sozialistische Partei die schwindende Unterstützung ihres offiziellen Kandidaten Benoít Hanon und den Abgang des früheren Premierminister Valls überhaupt überleben kann. Oder spaltet sie sich und die einen gründen mit dem ganz Linken, Jean-Luc Mélenchon, eine neue Partei Die Linke? Dadurch könnten dann die verbleibenden Sozialdemokraten mit der Bewegung des in den Umfragen führenden Ex-Bankers und Ex-Wirtschaftsministers Emmanuel Macron die neue parlamentarische Basis des zukünftigen linksliberalen Präsidenten bilden.

Die SP des scheidenden, unglücklichen Präsidenten Hollande ist also in aller Munde. Doch kein einziger der 15 Menschen, die ich in ein längeres Gespräch verwickeln konnte, mochte sagen, dass er oder sie der SP wieder ihre Stimme geben möchte. Zu sehr fühlen sie sich die von ihr enttäuscht.

Henri, ein rüstiger Rentner, 68 Jahre alt, hat 45 Jahre lang als Maurer auf dem Bau gearbeitet. Mit leuchtenden Augen sagt er, der früher auch mal die Linke gewählt hatte, dass er diesmal im ersten Wahlgang trotz des­sen illegalen Machenschaften mit der fiktiven Anstellung seiner Gattin und Töchter als Mitarbeiter Francois Fillon, der erzliberale frühere Pre­mier­minister von Sarkozy, wählen werde: «Wir brauchen ein kritisches Zeichen gegen die Linke, die mich schwer enttäuscht hat». Und im zweiten Wahlgang werde er, so sagte Henri selbst zur Überraschung seines Kumpels Jean, Marine Le Pen vom etwas geläuterten Front national wählen: «Sie kümmert sich um uns alle, denen es schlecht geht; sie vermag sich als einzige in die Lage von uns zu versetzen.» Sicher, man wisse nicht genau, was sie alles tun werde, antwortet Henri auf den fragenden Blick von Kumpel Jean, doch: «Es kann nicht schlimmer werden. Vor dem Austritt aus der EU habe ich keine Angst.»

Die gleiche Kombination empfiehlt Raymond (72), Autohändler: «Niemals werde ich Macron wählen, der ist doch bloss eine Puppe von Hollande, und der hat Frankreich nun wirklich in den Sumpf gefahren. Von diesen Leuten haben wir einfach genug.» Sein Freund Michael (66), Bauer: «Ich bin nur bei Fillon einig mit Raymond. Die Linke hat nichts von dem gehalten, was sie versprochen hatte, da brauchen wir wirklich einen Wechsel. Doch ein Ausstieg Frankreichs aus der EU und aus dem Euro kommt für mich nicht in Frage; die Bauern verdanken der EU viel, das dürfen wir nicht vergessen. Doch viele Bauern scheinen dies etwas zu vergessen, denn unter den Bauern ist die Fangemeinde der Le Pen gross.» Und dann hängt er noch eine Bemerkung zu den Sozial­de­mo­kraten an: «Die sagen doch immer, man solle teilen. Doch sie schauen vor allem für sich, vom teilen habe ich bei Ihnen nichts gesehen.»

Zwei junge Frauen, Laury (Buchhalterin) und Cindy (Sozialarbeiterin) haben sich noch nicht entschieden. Die Kandidaten machten wenig Lust, sich mit ihnen zu befassen, meinen sie. Sie machten einen schlechten Eindruck. Doch selbstverständlich werden sie wählen gehen. «Das ist ein Recht, das man nutzen muss», meint Laury. Doch sie werde sich noch in die verschiedenen Programme einlesen müssen, vielleicht auch noch die Debatte wenige Tage vor den Wahlen beobachten, bevor sie sich eine Meinung bilden werde. Vielleicht werde sie auch einfach jenen wählen, der den wenig schlechtesten Eindruck macht.

Lucien (82), ein alter Transportler, ist ein weiser Mann. «Das ist doch eine ganz grosse Komödie», sagt er erst einmal zu den Wahlen. «So etwas habe ich noch nie gesehen, so viele Klagen, Beschuldigungen, zum ersten Mal tritt der alte Präsident nicht mehr an, die zwei klassi­schen Parteien sind im Hintertreffen, ein ganz Neuer ohne richtige Partei an der Spitze, die Nationalistin gleichauf, es ist kaum zu glauben. Ich werde sicher links wählen, weiss aber noch nicht welche Linke. Mir fehlen wirklich gute Politiker; diesen Kandidaten traue ich nicht viel Gutes zu.»

Philippe (61), ein Taxifahrer, der eben eine Pause macht, ist der erste, der sich für Macron ausspricht, dem neuen, jüngsten Gesicht dieser Kampagne: «Er denkt nicht ideologisch, nimmt von links und rechts das Beste, wird einen neuen Wind in diesen alten Staat bringen. Das haben wir nötig, das finde ich gut.» Demgegenüber wirft Jean-Louis, ein Rentner, mir zu: «Lassen Sie mich in Ruhe. Diese Kandidaten regen mich nur auf. Es muss sich alles ändern. Ich werde deshalb Marine wählen.» Und ein pensionierter Oelingenieur sagt: «Mir ist dies alles so was von egal. Es wird sich nichts ändern. Deshalb interessiert es mich nicht und ich gehe nicht zur Wahl.»

Ganz anders aber die drei Jüngeren, die eben nach der Arbeit ins Café kommen zum gemeinsamen Bier. Alexandre (25), der Automechaniker: «Ich bin für Macron. Er ist jung, aufgeschlossen, modern, kennt sich in der Wirtschaft aus. Wir müssen neue Wege gehen.» Antony (23), Plat­tenleger: «Ich höre mich noch um. Das letzte Mal habe ich die SP ge­wählt, das werde ich diesmal sicher nicht mehr tun. Doch ich bin mir über die Alternative noch nicht sicher. Ganz gewiss dürfen wir aber die EU nicht verlassen; wir müssen sie vielmehr besser machen.» Und Lucien (18), Lehrling, freut sich, dass er zum ersten Mal wählen darf: «Doch ich bin mir noch nicht sicher, wem ich meine Stimme geben werde. Auch habe ich nicht viel Hoffnung, dass dies mein Leben positiv beeinflussen kann. Doch wir werden sehen!»


Kontakt mit Andreas Gross



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