19. Jan. 2017

Landtag Thüringen

Das FGR wird die politische Kultur
in Thüringen maßgeblich verändern



Erfurt. Anhörung des Innen- und Kommunalausschusses des Thüringer Landtages zur Einführung von fakultativen Referenden. (Grundlage Gesetzesentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 6/2541)

1.
Ich begrüße die Einführung des fakultativen Gesetzes-Referendums (FGR) ausdrücklich und möchte der CDU-Fraktion zu diesem Vorschlag gratulieren. Das FGR ist ein wesentlicher Baustein aus dem Mosaik der Direkten Demokratie1, demokratisiert die Thüringer Demokratie und be­deutet einen wichtigen Beitrag zur Mehrung und Stärkung der politischen Freiheit der Thüringer und Thüringerinnen.2

2.
Das FGR wird die politische Kultur in Thüringen maßgeblich verändern. Es wird Landtag und Bürgerinnen und Bürger einander näherbringen, die Kluft zwischen Politik und Bürger verkleinern sowie die Kommunikation zwischen beiden intensivieren. Es könnte mittel- und langfristig auch zu einem Wandel des Regierungssystem führen und dessen klassischen Mehrheits-/Oppositions-Antagonismus aufweichen, beziehungsweise modifizieren.

3.
Ich halte die im § 8a/Abs.1 vorgeschlagenen Voraussetzungen zur Qua­li­fi­zierung des Referendums (50'000 Unterschriften / 100 Tage Sammel­zeit) für angemessen, im deutschen Kontext sogar für ausgesprochen bürgerfreundlich und schon fast schweizerischen Demokratiestandards entsprechend.3

4.
Auch die im letzten Satzteil des Abs. 3 im § 8a geschaffene Möglichkeit des Landtages, im Falle eines Referendums zusätzlich einen alternativen Gesetzesentwurf vorlegen zu können, ist zu begrüßen. Lässt sich doch so der Wille der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger präzis eruieren. Eben­so wäre dies ein Beitrag zur Verdeutlichung der möglichen Alter­na­ti­ven, was zum konstruktiven Dialog über simple Oppositionspositionen hinausgeht.4

5.
Freilich stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen, die mög­li­cher­weise Ergänzungen sowie eine Präzisierungen erforderlich machen:

♦   5.1.  So könnte präzisierend angemerkt werden, dass der Landtag nicht nur ein ganzes alternatives Gesetz zur Volksabstimmung bringen kann, sondern nur zu einzelnen Artikeln, zu denen dann auch die Bür­ger­innen und Bürger gesondert Stellung nehmen können sollten.

♦   5.2.  Weiter stellt sich die Frage, ob das bei mehreren Vorlagen im § 25 des Thüringer Gesetzes für Bürgerantrag, Volksbegehren und Volks­entscheid (ThürBVVG) vorgesehenen Entscheidungsverfahren ausreicht. Es könnte nämlich sein, dass dieses Verfahren jene begünstigt, die am status quo festhalten und jede spaltet, die eine Reform unterstützen. Bes­ser wäre das Entscheidungsverfahren mit der Stichfrage, wie sie sich seit bald 30 Jahren in der Schweiz in allen Kantonen und auf Bundesebene bewährt hat.

♦   5.3.  Schließlich stellt sich die Frage, ob das, was den Parla­men­ta­ri­ern recht ist nicht auch den Bürgern gewährt werden sollte, nämlich die Möglichkeit in einem Gesetz einem bestimmten Artikel eine Alternative gegenüberstellen zu dürfen. - In der Schweiz wird dann von einem kon­struktiven Referendum gesprochen, im Kanton Bern von einem Refe­ren­dum mit Volksvorschlag. Auch dies hätte eine sachlichere und präzisere öffentliche Diskussion zur Folge und würde die Opposition veranlassen, alternative Vorschläge auszuarbeiten und nicht bloss sich einer Ände­rung zu widersetzen. Thüringen hat dies schliesslich auf kommunaler Ebene im Zuge der vorbildlichen Reform der kommunalen Direkten De­mokratie vom vergangenen Herbst ebenso eingeführt.

6.
Ganz vergessen worden scheint die Möglichkeit der dringlichen Ge­setz­ge­bung durch den Landtag mit einem bloß nachträglichen Volks­re­fe­ren­dum. Es kann sein, dass der Landtag beispielsweise mit einem qua­li­fi­zierten Mehr der Abgeordneten (Beispielsweise Zwei Drittel seiner Mit­glieder) der Überzeugung ist, dass eine Gesetzesrevision schnell er­fol­gen muss und keinen Aufschub erlaubt. Dann könnte der Landtags­prä­si­dent die erfolgte Gesetzesrevision sofort mit einer Laufzeit von einem Jahr in Kraft setzen. Das fakultative Referendum würde dann immer noch möglich sein und hätte im Falle, dass eine Mehrheit der Stim­men­den die Gesetzesvorlage ablehnt, zur Folge, dass dieses dringlich erklärte Gesetz nach einem Jahr wieder außer Kraft gesetzt wird.5

7.
Schließlich stelle ich mich die Frage, ob die Gegenstände, zu denen ein fakultatives Referendum möglich sin, nicht speziell aufgelistet werden sollten um so gegenüber der jetzt vorgesehen stillen Analogie mit den Bereichen, in denen Volksbegehren statthaft sind, nicht mehr Klarheit zu schaffen und Missverständnisse zu verhindern.

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1   Otmar Jung bezeichnet das Fehlen des Fakultativen Gesetzesreferendums in den mei­sten Bundesländern (Ausnahme Rheinland-Pfalz) als «strukturelles Defizit» der direkten Demokratie in Deutschland und als «zutiefst unfaire, verfahrensmäßige Beschränkung», in: Direkte Demokratie in Berlin, BWV, 2011, S. 43

2   In diesem Sinn überrascht mich die Beurteilung im SPD/CSU-Papier von Th. Oppermann und Hans-Peter Friedrich zu den Koalitionsverhandlungen 2013 auf Bundesebene, wonach «ein Referendum über beschlossenene Gesetze ein behutsamer Einstieg in direkt­de­mo­kra­ti­sche Teilhabe» sein soll (vgl. Volksbegehrensbericht 2015 von ‚Mehr Demokratie‘, Seite 28).

3   Es darf deshalb hier vielleicht die Hoffnung zum Ausdruck gebracht werden, dass nach Annahme dieses Gesetzes der Landtag auch daran geht, die entsprechenden Qua­li­fi­ka­tions­er­fordernisse beim Volksbegehren bürgerfreundlicher auszugestalten (5 % statt heute 10 % und 8 statt heute 4 Monate).

4   In den Kantonen Bern und Zürich sind ähnliche Möglichkeiten der Parlamente vor­ge­se­hen; nicht jedoch auf der schweizerischen Bundesebene.

5   Diese Möglichkeit würde auch Befürchtungen entgegentreten, wonach Referenden zur Blockade des Parlamentes und der Gesetzgebung führen könnten. In der Schweiz gibt es die Möglichkeit der Dringlichkeitserklärung einer Gesetzesrevision seit bald 70 Jahren; sie hat sich bewährt und ist allgemein unbestritten.



Kontakt mit Andreas Gross



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