1. Juli 2004
Tages-Anzeiger
Sport-Tagebuch
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Wenn der Verlierer dennoch gewinnt
Von Andreas Gross*
Manchmal bin ich so richtig neidisch auf den Fussball.
Ich weiss zwar, dass ab und zu auch dort nicht diejenige Mannschaft gewinnt, welche die schönsten weiten Pässe schnell und direkt spielt. Auch ich sehe wie geellbögelt, gestossen, gezerrt und von hinten in die Beine gegrätscht wird, ohne dass es immer gelb gibt.
Doch was würden Sie sagen, wenn ein Penalty-Schiessen von einer aus den Präsidenten aller beteiligten Fussballverbände zusammengesetzten Jury entschieden wird, die beschliessen würde, wer das grösste Potenzial an erfolgreichen Elfmeterschützen hat und so den glücklichen Gewinner des Spiels bestimmen könnte, ohne dass dieser den Tatbeweis des Penaltyschiessens wirklich antreten und treffen müsste? Oder was würden Sie meinen zum Vorschlag, die armen Bulgaren oder die noch bedauernswerteren Deutschen, welche in der Vorrunde ausscheiden mussten, dennoch für den morgigen zweiten Halbfinal gleichsam nachzunominieren, weil die Griechen im Viertelfinal zwar die indisponierten Franzosen bezwangen, aber den Briten zu wenig sympathisch sind, und die Tschechen in der ersten Halbzeit gegen die Dänen nicht überzeugten?
Genau, sie würden ganz gewiss den Kopf schütteln und das Ganze ins Pfefferland wünschen.
In der Europäischen Union, der für unser aller Zukunft noch wichtigeren Europa-Meisterschaft, geht es aber fast so zu und her. Da wird ein Verlierer nachträglich doch noch zum Gewinner, weil ein anderer einem dritten zu gut und der Beste zu vielen Angst macht, dieser könnte sie einmal Tunneln. Oder glauben sie wirklich, der Portugiese Durao Barroso sei der qualifizierteste Europäer für den Spitzenposten der EU, einer Art Kombination zwischen Regierungschef und Chefbeamter? Er, der kürzlich die Wahlen mit 3 zu 4 verloren hat und der von sich selber sagt, er sei weder ein Reformer noch ein Revolutionär, was etwa so viel heisst, wie er sei weder ein Links- noch ein Rechtsfüssler, sondern ziehe den Standfussball der Bewegung aufs Tor vor?
Barroso wurde zum Oberkommissar erkoren, weil der Nedved der europäischen Politik, Belgiens liberaler Guy Verhofstadt, den Britten zu flink ist, zu viel Tore schiesst und den Apologeten des defensiven Riegelsystems zu unkonventionell ist. Und der Zidane der EU, der Luxemburger Juncker, wurde nicht zweimal gebeten, weil er auch Deutsche oder Franzosen einmal deckeln könnte. Es sind die gleichen Regierungschefs, welche solche Personalentscheide verantworten, die einen Grundvertrag Verfassung nennen zu können glauben, was etwa so wäre, wie man ein Spiel gar nicht erst anpfeift, sondern das Schiedsrichtertrio den Sieger ausjassen liesse.
Ich weiss ich weiss, die Vergleiche sind schief. Ebenso weiss ich nur zu gut, dass die Zahlen der Wirtschaft und die Tore des Fussballs in der Politik, deren Leitwährung die Macht ist, nichts Entsprechendes haben. Deshalb ist die Frage, wer gute Politik macht, noch viel schwerer zu beantworten als die Frage, wer schönen Fussball spielt.
Und doch könnte man es anders besser machen: Wenn mehr Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte wahrnehmen, sich einmischen und beispielsweise wenigstens wählen (im Falle der Europäer) und in unserem Falle, stimmen gingen. Denn beim schönen Fussball können wir nur zusehen; die richtige Politik kann jedoch von uns erwirkt werden.
*Andreas Gross (52) ist Politikwissenschafter und SP-Nationalrat, FCB-Fan, ehemaliger TA-Kanalarbeiter und Fussballphilosoph.
Andreas Gross
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