11. März 2016

Zaman

Ohne kritische Medien wäre die AKP
nicht an die Macht gekommen



Erdogan verbietet nun das, wovon er früher profitierte

Terror, was immer auch darunter verstanden wird, bekämpft niemand mit Aussicht auf Erfolg, in dem er die Grundlagen und Voraussetzungen der Demokratie abbaut. Ganz im Gegenteil: Wer die Demokratie schwächt, hilft den Terroristen und erleichtert ihnen ihr Unwesen.

Wenn der türkische Präsident Terroristen am Werk sieht, dann muss er nichts anderes tun, als den Staatsanwalt einschalten. Dieser wird vor Gericht die Beweise vorlegen und der Richter wird, wenn die Beweise genügen, die Terroristen verurteilen.

Kritik an der Macht und der Art, wie die Machtinhaber ihre Macht nutzen, mag für diese lästig und unangenehm sein, doch das ist kein Terror. Ganz im Gegenteil. Eine kritische Beurteilung der Macht ist die Voraus­setzung dafür, dass die Machtinhaber sich weniger irren. Ist die Kritik unbegründet, dann genügt es, sie zu widerlegen. Und zwar dort, wo sie geäussert wurde, in diesem Fall in der Presse. Die freie Presse ist die Rettung der Zivilisation (vor dem Terror), meinte vor bald 200 Jahren der französische Politikwissenschaftler Alexis de Tocqueville. Gelingt die Wiederlegung der Kritik nicht, dann gilt es zu lernen, den eigenen Irrtum einzugestehen und alles zu tun, um ihn nicht zu wiederholen. Die kritische Presse wird dabei helfen.

Ohne kritische Presse wäre es 2002 der AKP und ihrem damaligen Prä­sidenten Erdogan nicht gelungen, die Mehrheit im türkischen Parlament zu erobern. Damals zeigte die türkische Presse, wie wichtig sie ist für eine funktionierende Demokratie. Ohne freie kritische Medien hätte die AKP es nicht geschafft, in ihrer ersten Amtszeit die Freiheit, Gerechtig­keit und die Demokratie in der Türkei zu stärken. So gelang es ihr auch, die alten tiefen autoritären Reste im türkischen Staat zu überwinden. Sie war so erfolgreich, dass Menschen sich wieder getrauten, neue Projekte des Staates in Frage zu stellen, beispielsweise am Gezi-Park in Istanbul – eine Selbstverständlichkeit in der Demokratie. Diese Kritik wurde auch in der Presse geäussert. Und sie wurde durchaus auch verstanden, denn obwohl die Regierung die Demonstranten mit viel Gewalt ungerecht ein­deckte, zeigte sie letztlich, dass sie die Lektion verstanden hatte. Die neuen Projekte wurden bis heute nicht realisiert.

Weshalb also jetzt plötzlich die Freiheit und Unabhängigkeit jener in Frage stellen, die den Machthabenden damals und bis heute geholfen haben, zu lernen und Irrtümer zu verhindern? Die Regierungsmacht und der Präsident erliegen damit einem neuen Irrtum und fördern weitere Fehler. Denn so kann sie in Zukunft niemand mehr hörbar kritisieren. Und so ist die Gefahr, neue Irrtümer zu begehen gross. Deshalb bezeichnete vor 200 Jahren der US-Präsident Thomas Jefferson die Pressefreiheit als wichtigsten Schutz der Demokratie und vor den negativen Folgen der Macht.

Deshalb liegt es im eigenen Interesse des Präsidenten, die staatliche Übernahme der letzten grossen unabhängigen Zeitung Zaman zurück­zunehmen. Er braucht dafür das Urteil des türkischen Verfassungs­ge­rich­tes nicht abzuwarten, das im Falle der beiden Chefredaktoren Dundar und Gul und der Veranlassung, diese sofort frei zu lassen, illustrierte, dass es die Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit kennt, diese achtet und zu schützen weiss.

Nur mit der Demokratie lässt sich die Gewalt überwinden; ohne freie Me­dien, Kritik und ohne eine kritische Presse kann eine Demokratie aber nicht sein und gedeihen. Also, sehr geehrter Herr Präsident, geben sie Zaman wieder den privaten Eigentümern zurück, befreien sie alle kri­ti­schen Anwälte, Journalisten, Wissenschaftler und Intellektuelle; die türkische Demokratie und auch Sie persönlich brauchen diese kritischen Kräfte alle dringend. Die Gefahren sind zu gross, als dass wir uns solche Irrtümer weiter leisten können.

Andreas Gross, Politikwissenschaftler/Demokratieforscher, 24 Jahre lang Schweizer Abgeordneter, 21 Jahre lang Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Beobachter der letzten drei Wahlen in der Türkei.


Kontakt mit Andreas Gross



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