19. Juli 2015
NZZ am Sonntag
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Die Idioten-Logik der Eskalation
Einleitung und Fragen: Jürg Vollmer
Im Auftrag der NZZ am Sonntag schreibe ich eine Story über eine Studie des (auch von der Schweiz finanzierten) Europäischen Demokratiefonds EED, welche aufzeigt, wie die europäischen Staaten inklusive Schweiz der massiven russischen Propaganda entgegentreten könnten. Die Regierungen der Niederlande und von Lettland gaben vor einem halben Jahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die europäische Medien in russischer Sprache prüfen soll. Erarbeitet wurde diese Studie vom Europäischen Demokratiefonds EED.
Der EED mit Sitz in Brüssel wird von der Europäischen Kommission, den EU-Mitgliedsstaaten und der Schweiz (1 Mio. 2013–2015) jährlich mit 16 bis 26 Millionen Euro finanziert. Ende Juni präsentierte der EED in Brüssel seine Studie (siehe https://www.democracyendowment.eu/ news/bringing-plurality-1/) den Regierungen der Niederlande und Lettland sowie der EU-Mitgliedstaaten, der Vereinigten Staaten, Kanada und Norwegen.
Die Studie fordert (oder eher wünscht): 1. Einen News-Hub, der Beiträge von Medien in Europa und den post-sowjetischen Staaten sammelt, verifiziert und in russischer Sprache bereitstellt. -- 2. Eine TV Content Factory, also eine Art Eurovision für russischsprachige Sendungen von Nachrichten über Dokumentarfilme bis zur Satire. -- 3. Eine Multimedia-Vertriebsplattform, in welcher der Output des News Hub und der TV Content Factory unter einer neuen globalen News-Marke publiziert werden. -- 4. Ein Kompetenzzentrum für Medienqualität, das einerseits Marktforschung und Medienbeobachtung betreibt, andererseits aber auch russischsprachige Journalisten ausbildet.
Anmerkung des Setzers (Fredi Krebs): Man stelle sich die riesige Welle der scheinheiligen Empörung der westlichen Regierungen und in den westlichen Medien vor, sollte Russland Gleiches im Westen vorhaben!! Zudem gilt zu bedenken, dass bereits seit vielen Jahren eine enorme Anzahl an westlichen «Stiftungen» auf dem Gebiet Russlands aktiv sind, deren einziges Ziel es ist, «Informationen» im Sinne der westlichen Propaganda in die Russische Gesellschaft zu implementieren. So unterstützte alleine USAID im Jahre 2012 mindestens 57 Organisationen finanziell und ideell in Russland. Alleine diese Organisation hatte seit 1992 insgesamt 2,7 Milliarden US-Dollar für eine breite Palette von Projekten in Russland bereitgestellt. Mehr oder weniger offen tun dies einige Dutzend weitere Organisationen, so auch National Endowment for Democracy (NED) (meist unter dem Deckmantel der Ausbildung von Journalisten, der Sprachvermittlung, der Wahlbeobachtung, der Förderung ausgewählter Medien, der Wählerinformation, Aus- und Weiterbildung von Unternehmern, Schulung von Gewerkschaftern etc.) plus eine hohe dreistellige Zahl an christlichen Indoktrinations-Organisationen usw. usf. ... Sie alle sind befangen, wie die russische Propaganda auch, in einer simplen Logik – und die nannte Peter Englund in seinem Buch zum Dreissigjährigen Krieg sehr treffend: «Die Idioten-Logik der Eskalation.»
Können ein solcher News Hub, TV Content Factory und Multimedia-Vertriebsplattform in russischer Sprache den Propaganda-Medien wie Sputnik und Russia Today (RT) mit zusammen 5000 Mitarbeitern von den Ressourcen her das Wasser reichen?
Ganz grundsätzlich zuerst: Propaganda lässt sich nicht mit Propaganda begegnen. Das wäre ein fundamentaler Irrtum. Gefragt sind mehr und tiefere Kenntnisse, Einsichten in Zusammenhänge und pluralistische Analysen, welche die Bürgerinnen und Bürger befähigen, eigene politische Beurteilungen vorzunehmen.
RT und Sputnik waren ihrerseits Reaktionen der russischen Regierung, die sich im Westen un- und missverstanden fühlt.
Ich verstehe die EED-Vorschläge auch nicht als RT und Sputnik in die andere Richtung: Sie schufen vielmehr einen Pool, in welchem die wichtigsten Russland und seine Beziehungen zu Europa betreffenden Artikel aus den westlichen Medien auf Russisch übersetzt und vor allem den russischen Bürgern in Russland zugänglich gemacht werden. Die russische Diaspora im Westen ist erst der zweite Adressat. Der erstere ist der wichtigere, denn viele von ihnen verstehen keine andere Sprache als Russisch und bedürfen deswegen der Übersetzung. Einen solchen Pool mit entsprechender überkontinentaler Reichweite erachte ich als sehr sinnvoll.
Andererseits würde ich aber auch alles tun, um unsere Kenntnisse in die Einsichten in die russische Geschichte und Gegenwart zu vertiefen. Es ist peinlich, dass nur noch die NZZ einen vollamtlichen Korrespondenten in Russland bezahlt. Weshalb nicht in jedem EU Land den drei grössten Medien den Korrespondenten in Russland subventionieren, wenn dies der Markt offenbar nicht mehr schafft?
Wie schätzen Sie die Stimmungslage in der russischen Diaspora in der Schweiz (rund 14'000 Personen) ein? Wie informieren sich diese Russen in der Schweiz?
Das weiss ich nicht. Darüber könnten Ihnen Roman Berger oder Herr Peskey Auskunft geben. Politisch ist dies aber auch nicht so relevant. Ich glaube nicht, dass diese Diaspora besonders anfällig ist für russische Propaganda. Sie kann meistens auch Deutsch, Französisch oder Englisch lesen und informiert sich bereits aus ganz verschiedenen Quellen und kommt wohl heute schon zu einem angemesseneren Urteil als viele von uns, die im Allgemeinen nur Westmedien konsumieren.
Wird die russische Diaspora in der Schweiz/Europa/Post-Sowjetunion überhaupt die Informationen von News Hub, TV Content Factory und Multimedia-Vertriebsplattform in russischer Sprache akzeptieren?
Sie werden sie nutzen, aber ohne grossen anderen als den gegenwärtigen Effekt.
Wenn Nein, was könnten Europa und die Schweiz der russischen Propaganda entgegenstellen? Darf/soll die Schweiz dies überhaupt?
Wie gesagt, viel mehr eigene Korrespondenten in Moskau und anderen russischen Städten sollten uns informieren über das, was in Russland vorgeht. Dann können wir die Verhältnisse besser beurteilen und sind weder von den russischen Medien abhängig noch fallen wir ihrer Propaganda zum Opfer.
Ich halte übrigens auch einige Medien aus dem Westen für sehr propagandanahe und würde mir auch dort mehr Tiefgang und Weitblick und mehr Substanz wünschen. Frau Appelbaum ist da auch kein grosses Vorbild und meines Erachtens auch keine Referenz.
Die Schweiz darf sich für eine bessere Information in Europa engagieren. Freilich muss der Bund auch lernen, dass ein solches öffentliches Engagement auch landesintern immer notwendiger wird. Wenn der Markt die entsprechenden Voraussetzungen für die Demokratie nicht mehr schafft, dann müssen Bund und Kantone einspringen!
Kontakt mit Andreas Gross
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