12.5.2015
albaninfo.ch
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Diese Staaten werden implodieren, wenn Machtpositionen weiter zur Bereicherung klientelistischer Netzwerke missbraucht werden
Fragen von Bashkim Iseni.
Wie beurteilen Sie die gewaltsamen Auseinandersetzungen, die derzeit Mazedonien bestürzen?
Wir wissen noch zu wenig über die Identität der Beteiligten, um die gewaltsamen Auseinandersetzungen von Kumanovo vom vergangenen Wochenende richtig einschätzen zu können. Leider sind solche Schiessereien nicht untypisch in der mazedonischen Gegenwart. Freilich schienen sich in den letzten Monaten die interkulturellen Spannungen eher abgebaut zu haben; deshalb überrascht, dass es jetzt plötzlich wieder zu Schiessereien mit so vielen Toten gekommen ist. Mazedonien würde sich einen grossen Dienst erweisen, wenn die Behörden die Hintergründe und die Beweggründe der Beteiligten wirklich untersuchen und deutlich machen könnten. Ich hoffe sehr, dass Polizei und Staatsanwalt dies tun.
Die Opposition meint, es werde von der Regierung eine interethnische Krise inszeniert. Wie plausibel halten Sie diese These und warum?
Diese These hat eine gewisse Plausibilität. Die Regierung hat tatsächlich ein grosses Interesse, von ihren Fehlern abzulenken, die je länger desto mehr Bürger empören und auf die Strasse treiben. Doch ist dies ein sehr schwerwiegender Vorwurf, der erst belegt werden muss, bevor er weiter erörtert werden kann. Deshalb braucht es eine wirkliche Untersuchung dessen, was in Kumanovo über das vergangene Wochenende stattgefunden hat; wer weshalb zu schiessen begann, wer so viele Menschen töte und welches die politischen Motive dieser Kriminellen waren.
Welches sind die Konsequenzen dieser gewaltsamen Zusammenstösse nach innen und welche Folgen haben sie für die europäischen Integrationsperspektiven Mazedoniens?
Diese gewaltsamen Zusammenstösse sind ein weiterer Nährboden für die Verzweiflung, die sich bei vielen Menschen in Mazedonien breit macht. Sie verlieren je länger desto mehr ihr Vertrauen in die Regierung, die Politiker, die Institutionen und wissen nicht, woran sie sind und was sie tun sollen. Derartige Ereignisse desintegrieren die Gesellschaft, wenn sie nicht schleunigst aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Noch mehr Misstrauen, noch mehr Spannungen, noch mehr Verzweiflung kann sich Mazedonien nicht leisten.
Sie waren letzte Woche mit einer Delegation des Europarates vor Ort in Skopje. Welche Schlussfolgerungen gewannen Sie aus Ihren Gesprächen und Begegnungen vor Ort?
Wir waren vor zehn Tagen zu dritt - ein österreichischer Bundesrat, ein britischer Kollege und ich - zwei Tage in Skopje, sprachen mit rebellierenden Studentenvertretern, Oppositionsvertretern, Journalisten, dem Premierminister und Ministern der beiden wichtigsten Communities. Die Gräben, welche Mazedonien lähmen, sind tief und es ist nicht klar, wer für welche Verfehlungen wie viel Verantwortung trägt. Doch es scheint, dass der Geheimdienst wie früher unter Tito auch im unabhängigen Mazedonien 25 Jahre lang die meisten wichtigen Politiker abgehört hat, diese illegal zustande gekommenen, vielfach schockierenden Tonbänder der Opposition zugespielt wurden und deren Vorsitzender gibt diese nun ebenso illegal häppchenweise der Öffentlichkeit bekannt; gleichzeitig boykottiert die Opposition das Parlament seit einem Jahr, seit den letzten Wahlen. Zudem demonstrieren immer mehr Studierende gegen die Korruption und die mangelnde Qualität an den Unis und immer mehr Menschen schliessen sich den Demos an, ohne dass die Behörden mit den Studierenden wirklich ins Gespräch kommen, aus Fehlern lernen und diese zu korrigieren bereit sind. Die politische Krise ist alarmierend. Wir versuchten die Opposition davon zu überzeugen, dass sie endlich wieder ins Parlament gehen und dort für Aufklärung, Reformen und bessere Gesetze kämpfen soll. Ebenso sind wir überzeugt, dass die riesige Abhöraffäre durch eine parlamentarische Untersuchungskommission schnell aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Schliesslich riefen wir die Regierung auf, der Verfassung und den Gesetzen endlich Nachachtung zu verschaffen und jene vor Gericht zu bringen, welche meinen, diese wo auch immer ignorieren zu können.
Ihre Stimme bedeutet etwas in der mazedonischen Öffentlichkeit. Welches ist Ihre Botschaft an die politische Klasse Mazedoniens, ob in der Opposition oder an der Regierung, ob slawisch-mazedonisch oder albanisch-mazedonischer Art?
Was mich am meisten empört ist, wie alle den Staat, beziehungsweise die staatliche Macht für eigene Geschäfte missbrauchen und dabei vergessen, dass Regierungen den Bürgern zu dienen und deren Lebensumstände zu verbessern haben. Es fehlt auf allen Seiten an einer Ethik des öffentlichen Dienstes. Der Staat ist für die Bürger da und nicht ein Ort, wo sich jene, die wie auch immer die Wahlen gewonnen haben, vor allem selbst bedienen. Diese Unkultur scheint leider die Minister beider Ethnien zu verbinden. Und auch den Oppositionsparteien muss man deutlich machen, dass auf illegale Art dem Recht und der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Sie müssen auf dem Weg zurück an die Macht den Tatbeweis erbringen, dass sie diese Macht nicht wie die heutige Mehrheit für private Gewinne und Geschäfte missbrauchen würde.
Wie können wir dieses Land oder den ganzen Westbalkan in die EU bringen, wenn die Korruption so omnipräsent ist?
Das ist wohl die entscheidende Frage, auf die ich eine bessere Antwort auch gerne haben würde. Wichtig wäre vor allem, dass sich die EU-Verantwortlichen mehr und deutlicher engagieren in diesen Ländern, vor allem in Mazedonien und Kosovo aber auch in Bosnien-Herzegowina. Es gilt viel deutlicher zu machen, dass irgendwelche Unterstützungen und Perspektiven nur erfolgen und offen bleiben, wenn der Rechtstaat und die Demokratie beachtet und ethnische Nationalismen bekämpft werden. Wer nicht bereit ist, Reformen zu realisieren, welche die Korruption abbauen und die Unabhängigkeit der Justiz fördern, sowie den Andersdenken und den anderen Communities entgegenkommt, der sollte von der EU keine Förderung und keine Anerkennung mehr finden. Dies muss auch innerhalb dieser Gesellschaften deutlich kommuniziert werden. Wobei auch eine unabhängige Presse viel mehr gefördert werden muss – öffentliche Medien dürfen nicht weiter als Staatsmedien konzipiert und die privaten Medien von staatlichen Werbebudgets abhängig sein -, sonst werden zu viele weiter irregeführt und müssen sich von den Machthabern manipulieren lassen. Und innerhalb der Staaten muss den verschiedenen Behörden und Machthabern deutlich gemacht werden, dass ihre Staaten implodieren werden, wenn sie ihre Stellung und Machtpositionen weiter für die Bereicherung ihrer klientelistischen Netzwerke missbrauchen, statt dem Allgemeinwohl und der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zu dienen. Diese Leute spielen mit dem Feuer und setzen die Zukunft ihrer Staaten in Frage. Dies müssen wir ihnen deutlich machen und die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, die Spreu vom Weizen trennen zu lernen und bei Wahlen sich nicht mehr manipulieren zu lassen.
Kontakt mit Andreas Gross
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