20. April 2015

Der Europarat: Eine Ermutigung, sich skandalöser Zustände anzunehmen


Fragen von Marco Jeker für den Master in Public Administration

Stellung des Europarates

Ist der Europarat in der Lage, einen aussenpolitischen Druck auf die Schweiz auszuüben? Falls ja, haben Sie hierzu ein konkretes Beispiel?

Der Europarat besteht ja aus verschiedenen Institutionen. Und wenn nötig, so vermögen einzelne von ihnen durchaus Druck auf die Schweiz auszuüben, wenn es um Versäumnisse, Egoismen oder mangelnde Be­reitschaft, dem Willen der Mehrheit der EuropäerInnen zu genügen geht. Ich denke dabei an die Anti-Korruptionsbehörde des ER, die Gre­co, die mit Recht die Schweiz kritisiert, dass sie als einziges Land Eu­ropas das Verhältnis zwischen Geld und Politik, Geld und Demo­kra­tie nicht in einem Gesetz geregelt hat und sich deshalb dem Vorwurf der Käuflichkeit schweizerischer Parlamentssitze und der Gesetz­ge­bung aussetzt. Ich denke auch an Entschliessungen der PACE das frühere Bankgeheimnis betreffend oder die schweizerische Steuergesetz­ge­bung oder das schweizerischen Ausländer, Asyl oder Bürgerrecht.

Einflussnahme auf die Schweiz über die parlamentarische Versammlung des Europarates

Sind Sie der Ansicht, dass die parlamentarische Versammlung des Eu­ro­parats als Instrument (Ressource) genutzt werden kann, um in der Schweiz ein politisches Agenda-Setting zu betreiben bzw. den aussen­po­li­ti­­schen Druck zielgerichtet auf ein (innenpolitisch blockiertes) Thema zu richten?

Ich bin nicht nur dieser Ansicht sondern auch davon überzeugt. Es wird nur zu selten versucht; aber Sie dürfen nie vergessen, dass weder die parlamentarische Versammlung noch die schweizerische Delegation uniform sind, sondern immer mehr oder weniger verschiedene und teils widersprüchliche Positionen abbilden, beziehungsweise beinhalten. Entsprechende Versuche des Agenda-Settings oder des Drucks sind also meist prekär und dies ist wiederum allen Beteiligten mehr als bewusst.

Parteienfinanzierung

Im Jahr 2001 hat die parlamentarische Versammlung eine Empfehlung bezüglich Parteienfinanzierung verabschiedet, was schlussendlich zu einer Recommendation (2003) des Ministerkomitees führte. In welcher Form waren Sie an den Arbeiten zur Empfehlung mitbeteiligt? Hatten Sie massgeblich Einfluss auf deren Inhalt? Oder war es Zufall, dass sich der Europarat mit diesem Thema, zu dem Sie bereits in den Jahren 94 und 99 parlamentarische Vorstösse eingereicht hatten, befasst hat?

Ich habe in der Kommission und im Plenum des Europarates mitgear­beitet, doch mein Einfluss war nicht massgeblich. Massgeblich war der Standard, den es dazu mittlerweile in Europa gibt und der von der Schweiz völlig negiert wird. Der Europarat hat sich mit diesen Themen schon in den 1970er und 80er Jahren befasst und meine entspre­chen­den Vorstösse in der Schweiz waren Ausdruck der Entwicklung von demokratischen Standards, wie dies auch in der wissenschaftlichen Debatte zum Ausdruck kommt. Schliesslich bringen sie auch schwei­zerische Erfahrungen zum Ausdruck, deren Gründe durch die wis­sen­schaftliche und europarätliche Arbeit besser erschlossen werden kön­nen; doch ursächlich sind die letzteren nicht, sie sind vielmehr eine Ermutigung, sich dieser skandalösen Zustände anzunehmen im Wis­sen, dass die Schweiz von den Erfahrungen anderer Länder viel lernen könnte.

Mit welchen Mitteln (institutionelle / formelle wie Vorstösse, Themen­an­trä­ge in Kommissionen aber auch informelle wie Kontakte mit Ihren Parteikollegen) haben Sie versucht, die Recommendation des Europa­rats zur Parteienfinanzierung auch in der Schweiz bekannt zu machen, damit die Diskussion in der Schweiz zu diesem «Tabuthema» voranschreitet?

Ich habe all die von Ihnen genannten Kanäle gebraucht: Zusätzlich habe ich auch verschiedene Presseartikel geschrieben und Interviews gegeben und sogar versucht, eine entsprechende zivilgesellschaftliche Interessengruppe aufzubauen im Hinblick auf die Lancierung einer Volksinitiative, was sich aber auf Grund einer fehlenden unité de doctrine als vergeblich erwies.

Weitere Beispiele für die gezielte Einflussnahme

Können Sie weitere Beispiele nennen für zielgerichtete Interventionen von Vertretern/Vertreterinnen der Schweizer Delegation, um über das Instrument der parlamentarischen Versammlung des Europarates Einfluss auf das politische Agenda-Setting (bzw. auf Politikinhalte) auszuüben?

Zu nennen wären vor allem Arbeiten im Bereich des Asyl- und Aus­länder- sowie des Bürgerrechts, der Sozialpolitik (Europäische Sozial­char­ta), der Menschenrechtspolitik und des Respektes für die EMRK, dann immer wieder auch einzelne Politiken im Bereich der klassischen Aussen- und Europapolitik der Schweiz, der schwei­ze­ri­schen Anti-Terrorpolitik und einiges anderes mehr.


Kontakt mit Andreas Gross



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