22. Okt. 2014
AZ Medien
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Ukraine/Russland:
Die Schweiz als Umgehungsland gegen die
Sanktionen missbrauchen zu lassen, wäre
nicht nur egoistisch, sondern auch dumm
Jean-Marc Probst, Präsident von Handel Schweiz und Vorstandsmitglied von Economiesuisse, hat sich heute in einem Vortrag sehr pointiert zur Ukraine und zu Sanktionen gegenüber Russland geäussert. Darf sich der Handel-Schweiz-Präsident so äussern?
Antonio Fumagalli
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Lieber Herr Fumagalli,
Selbstverständlich darf Herr Probst so was sagen. In einer Demokratie darf auch Falsches, Kurzsichtiges, Einseitiges, ja Unbedachtes gesagt werden.
Die Frage ist doch vielmehr, was Herr Probsts Aussagen bedeuten. Denn sie sagen mehr über ihn als über Russland oder die Ukraine. Mit seinen Aussagen illustriert Herr Probst, dass er für seine Geschäfte auch über Leichen geht. Es ist ihm egal, ob jemand grundlegende Verträge bricht, Zusagen ignoriert, Friedensordnungen untergräbt, andere Völker enteignet, aus ihrer Heimat vertreibt, anderer Länder Eigentum stiehlt - Hauptsache ist für Herr Probst einzig und allein, dass man etwas kaufen oder verkaufen kann und mit wem oder womit und wie man Profite erzeugen kann.
Seine Aussagen zeugen von wenig Sachkenntnis. Die Ukraine ist kein Brückenland zwischen West und Ost; es gehört vielmehr grossmehrheitlich zu Europa, hat aber zwei kulturelle Identitäten und versucht, mit Ost und West Handel zu betreiben. Dass die Ukraine nicht zur EU gehört, ist keine Meinung von Herrn Probst, sondern eine Tatsache. Das heisst freilich nicht, dass sich Russland einfach bei den Ländern und Menschen und Gütern der Ukraine bedienen kann. Die Korruption ist in der Ukraine heute kleiner als in Russland; die Beitrittsperspektive der Ukraine in die EU hilft, Reformen zu verwirklichen, welche die Korruption abbauen.
Die Neutralität ist kein spanischer Vorhang, hinter dem man sich alles erlauben darf. Wenn die Weltgemeinschaft sich mit der Ukraine gegen den Diebstahl und die Verletzung verschiedenster völkerrechtlicher Verträge wehrt, dann tut die Schweiz gut daran, sich nicht als Umgehungsland gegen die ausgesprochenen Sanktionen missbrauchen zu lassen - selbst wenn dies für einige Handelsherren profitabel wäre. Das wäre nicht nur unsolidarisch und egoistisch, sondern auch dumm, könnten sich diese Herren doch auch mittelfristig selber schaden.
Zudem sind die Sanktionen so konzipiert, dass sie die skrupellosen russischen Geschäftemacher, welche ihre wirtschaftliche Kraft dank der politischen Privilegien des Putin-Systems erworben haben, am meisten treffen und die einfachen Menschen eher schonen. Dies zeigt sich daran, dass die Profite dieser russischen Oligarchen massiv rückläufig sind und Putin unter Druck geraten ist - so sehr, dass er sich um die Überwindung der Sanktionen bemüht. Dies kann aber erst geschehen, wenn er das Unrecht, dass er der Ukraine angetan hat, mindestens teilweise korrigiert und repariert.
Kontakt mit Andreas Gross
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