23. April 2014
Luzerner Zeitung
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Wenn etwas jenseits der Grenzen nicht verstanden wird, dann hapert es meist schon diesseits der Grenzen
Im Europawahlkampf werben Parteien wie die AfD und die NPD mit der Schweiz. Die AfD hat zumindest Abgrenzungsprobleme nach rechts, die NPD ist sogar eine rechtsextreme Partei, gegen die ein Verbotsverfahren läuft. Die NPD wirbt auf Plakaten mit «Vorbild Schweiz – Masseneinwanderung stoppen», im Hintergrund ist das Matterhorn abgebildet.
Von Christoph Reichmuth
Kann/muss sich die Schweiz gegen diese Art von Instrumentalisierung wehren?
Gegen falsche Freunde lässt sich schwer ankommen. Jeder kann in Europa über jeden behaupten, was er will. Er kann auch ein Land für sich instrumentalisieren, so wie viele bei uns glauben zu wissen, wie «die Italiener sind», was das Problem «der Griechen» ist, weshalb «die Franzosen» wiedermal in der Bedrouille sitzen.
Das Problem ist vielmehr, ob und wie die sagen wir mal falschen Behauptungen geglaubt werden, ob und wie sie ankommen. Und da steckt die Antwort wohl schon in der Frage: Sie würden mich kaum um eine Stellungnahme anfragen, wenn Sie nicht mit Recht den Eindruck hätten, viele Deutsche gingen diesen Diskursen der AFD und der NPD wirklich auf den Leim. Das heisst, wir fürchten beide, die Schweiz werde derzeit von vielen Europäern tatsächlich falsch oder zumindest gar nicht verstanden. Ganz sicher jedenfalls nicht so, wie wir dies gerne hätten.
Gewiss, die Schweiz kann und muss sich viel mehr anstrengen, in Europa und in der Welt nicht falsch verstanden zu werden. Doch dies ist eine sehr anspruchsvolle, vielschichtige Aufgabe. Mit simplen Imagekampagnen oder amtlichen Interventionen oder gar Klagen ist es nicht gemacht. Auch gilt es erst, Fragen zu stellen wie: Wer ist denn die Schweiz? Wer versteht in der Schweiz selber die Schweiz und wer sagt, dass dieses sein Verständnis das richtige ist?
Und da fängt das Problem eben schon an. - Haben wir nach dem 9.2. wirklich ausreichend diskutiert um ein gemeinsames Verständnis entwickeln zu können darüber, was passiert ist an dieser Abstimmung, welche Art Schweiz hier sich Ausdruck verschafft hat, was wirklich die Botschaften dieser knappen Mehrheit der Stimmenden waren.
Wenn etwas jenseits der Grenzen nicht verstanden wird, dann hapert es eben meist schon diesseits der Grenzen. Wenn wir uns nicht darum bemühen, zu verstehen, was mit uns passiert, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere schnell zur Stelle sind mit irreführenden Thesen und falschen Instrumentalisierungen. Wo gibt es aber bei uns noch die Medien, welche diese Diskussion und diese Auseinandersetzung um die Entwicklung eines gemeinsamen Problemverständnisses suchen, fördern und willkommen heissen? Mit irgendwelchen Anpöbelungen am Freitagabend in der sogenannten Arena kann dies nicht geschehen, ganz im Gegenteil. Dort wird das Problem bewirtschaftet, nicht überwunden und schon gar nicht bemüht man sich um ein gemeinsames Problemverständnis. Wo sind in der deutschen Schweiz die entsprechenden Radiodebatten? Wo die Zeitungen, welche jeden Tag Platz zu dieser Reflexion bereitstellen und dazu Leute einladen und deren Arbeit auch entlöhnen.
Zu Hause muss also beginnen, was über die Grenzen hinaus ausstrahlen soll, um falsche Ansichten zu verhindern und zu überwinden. Es ist ja sogar so, dass die ausländischen Medien (SZ, FAZ, DFunk u.a.m.) durchaus offen sind für Schweizer Stimmen, die ihnen unser Land zu erklären versuchen. Doch diese Bestrebungen müssen wir auch bei uns unterstützen, indem wir zuhören, auf sie eingehen, sie widerlegen, sie vertiefen. Da reicht ein kluger Artikel von Lukas Bärfuss oder eine brillante Rede von Bundesrat Berset in Leipzig nicht - zumal dann, wenn sie zu Hause mehr Häme und Neid ernten für das Gehör, das sie finden, statt dass man auf sie eingeht, bei Bedarf widerlegt, andere Ansichten zur Geltung bringt und ihre Argumente jedenfalls bedenkt und diskutiert. Denn nur so kann ein gemeinsames Problemverständnis sich entwickeln. Nur so können auch vermeintlich Fremde - denen übrigens Vieles von uns näher ist als wir glauben - dazu veranlasst werden, nicht in die Irre abzuschweifen, wenn es um die Schweiz und ihre vielen Ausdrücke geht.
Werfen solche Wahlplakate ein falsches Licht auf die Schweiz?
Möglicherweise schon. Aber diese Einschätzung ist subjektiv. Viele jener, welche am 9.2. die Mehrheit bildeten, dürften sich gar nicht so falsch verstanden fühlen. Vielleicht sind sie leicht irritiert über den starken Applaus von dieser Seite. Doch viele von ihnen denken so wie ein Teil der AFDler und NPDler. Deshalb müssen wir uns, gerade wenn wir vieles anders sehen als sie, viel mehr mit ihnen auseinandersetzen, uns mit ihnen befassen, mit ihnen diskutieren und dürfen dafür den Aufwand nicht scheuen.
Ist das Image der Schweiz nach dem 9.2. ohnehin beschädigt oder glauben Sie, dass die WählerInnen in Deutschland differenzieren?
Die Schweiz hat seit Jahren ein riesiges Imageproblem. Lange Zeit war es zu unkritisch paradiesisch, später auch völlig einseitig negativ - reiche Hehler-Nation, ein einziger Banktresor, alles Steuerhinterzieher - und mittlerweile identifizieren uns viele mit den Nationalisten, Egoisten, Menschenrechtsverächtern und EU-Hassern, die es ja auch tatsächlich gibt bei uns und anderswo, wenn auch nicht mehrheitlich. Auch da hilft nur die bessere öffentliche Auseinandersetzung, die nachdenkliche Debatte. Die aber fehlt an allen Enden oder wird durch simple Keifereien ersetzt.
Läuft die Schweiz Gefahr, dass auch andere rechtskonservative bis rechtsextreme Parteien in anderen EU-Staaten vor den anstehenden Europawahlen mit der Schweiz werben?
Das ist keine Gefahr, sondern bereits Realität. Denken sie an die Euphorie, welche Frau Le Pen zur Schweiz entwickelt oder an den Auftritt eines norditalienischen Legisten im Europaparlament, an die dänischen und holländischen Rechten, welche mit der Schweizer Rechten interagieren und sich gegenseitig öffentlich loben. Das zeigt einerseits, wie europäisch unsere Probleme geworden sind, wie ähnlich sie sich in vielen Ländern sind und wie ähnlich falsch auch in vielen Ländern auf sie reagiert wird. Umso mehr müssen sich aber auch jene, welche diese gemeinsamen Probleme anders als egoistisch, brutal und gewaltsam lösen wollen, öffentlich Gehör verschaffen und ganz anders zusammenarbeiten als dies bisher geschieht.
Muss die Schweiz respektive Präsenz Schweiz mehr in die Image-Pflege investieren?
Investieren muss sie ganz sicher mehr in ihre Demokratie und deren infrastrukturellen Voraussetzungen (Qualitätspresse, Pluralismus, öffentliche Debatte, Bildung etc.). Dazu auch in jene, die versuchen, jenseits der Landesgrenzen zu diskutieren - doch sicher nicht in Imagepflege à la Fondue in der Wallstreet oder Skifahren in Berlin - das schürt im Gegenteil das Unverständnis und das Kopfschütteln, das unser Land bei vielen in den letzten Wochen provoziert. Wir müssen versuchen, unsere Köpfe besser zu gebrauchen, so dass auch andere animiert werden, ihren Kopf besser zu gebrauchen, so dass wir uns und einander besser verstehen und sie uns weniger missverstehen. Dann können die rechten Parteien behaupten, was immer sie wollen …
Kontakt mit Andreas Gross
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