15. April 2014

BaZ

Spannungen nicht nur abbilden, sondern auch abbauen


Fragen der Basler Zeitung (Thomas Wehrli) zur Arbeit von Beobachtern der OSZE in Krisengebieten

Wie muss man sich die Arbeit der Beobachter konkret vorstellen? Was tun sie?

Primär hören sie in einem ihnen zugesprochenen Gebiet vielen Menschen zu, reden mit ihnen, beobachten die Aktivitäten von Bürgern, Bürgergruppen, Behörden, Militärs und Funktionären. Sie knüpfen Kontakte und können mit verschiedensten Akteuren Beziehungen aufbauen. So bekommen sie einen authentischen Eindruck der Verhältnisse, können Stimmungen verstehen, erkennen Absichten und Interessen. Das sind wichtige Voraussetzungen, um Anzeichen von Konflikten rechtzeitig zu erkennen und deeskalierend eingreifen zu können, das heisst kommunikativ zu verhindern, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt.

Die Wahrheit gehört ja immer zu den ersten Opfern in gewaltsamen Auseinandersetzungen. Gerade auch um die Krim und die Ostukraine findet derzeit eine gewaltige Informationsschlacht statt. Beobachter liefern eigenständige Berichte und Einschätzungen, welche der OSZE, ihren Regierungen und allen unabhängigen Akteuren hilft, der Wahrheit näher zu kommen und ihre politischen Engagements besser konzipieren und entwickeln zu können.

Wie gefährlich ist eine solche Mission? Was sind die Gefahren?

Ungefährlich sind solche Engagements nie. Doch gut ausgebildete und erfahrene Beobachter wissen ihnen aus dem Weg zu gehen, verstehen, wie man dazu beitragen kann, sie nicht zu provozieren und können das Risiko abbauen. Die konkreten Gefahren hängen von den spezifischen Umständen und dem Kontext der Mission ab. In Gebieten, in denen zuvor militärische Auseinandersetzungen stattgefunden haben, können dies Minen sein. Wo Menschen gegeneinander aufgebracht sind, kann man zwischen verbale oder brachialere Fronten geraten – dies lässt sich nicht einfach allgemein sagen.

Laut OSZE-Presseabteilung sind zwei Schweizer bei der Mission dabei. Was können sie beitragen? Haben sie einen besonderen Status?

Derzeit sind schon 123 Mitglieder der Beobachter-Mission vor Ort. Bald sollen sie auf 500 Mitglieder aufgestockt werden. Meines Wissens hat man vor einigen Wochen auch etwa ein Dutzend Schweizerinnen und Schweizer gesucht, die sich für über ein halbes Jahr verpflichten müssen. Als Schweizer hat man in einer solchen Mission keinen besonderen Status. Da sind alle gleich. Entscheidend sind die spezifischen Qualitäten, Kenntnisse und Kompetenzen. Die Schweizer werden dann auch die gleichen Aufträge erfüllen müssen wie alle anderen auch.

Wann ist die Mission ein Erfolg?

Der grösste und wichtigste Erfolg wäre ganz bestimmt, alles zu tun, um Gewalt und den Verlust von Menschenleben zu verhindern. Wenn die OSZE-Beobachter dazu beitragen können, dann hätten sie Grossartiges erreicht. Denn das Schlimmste der Gewalt ist, dass sie nie vergessen geht und immer wieder neue gebiert. Deshalb müssen wir alles versuchen, um Gewalt zu verhindern. Das darf auch einiges kosten. Denn nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zuerst den Waffenstillstand zu erwirken und dann wieder Frieden aufzubauen ist viel, viel teurer, von den Opfern an Menschenleben ganz abgesehen.

Was kann sie bestenfalls bewirken?

Die Gefahr, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, können Beobachter abbauen. Denn sie können sich aufbauende und verschärfende Konfliktverhältnisse rechtzeitig erkennen und verstehen es, deeskalierend einzugreifen, indem sie zwischen den verschiedenen Akteuren und ihren Interessen vermitteln und so die Konflikte entschärfen.

Worin unterscheidet sich der OSZE-Beobachter von medialen Beobachtern?

Medienschaffende berichten was sie sehen können, was andere sie sehen lassen, was man ihnen zuträgt. Ihre Aufgabe ist die Darstellung dessen, was sie als Wirklichkeit erkennen. OSZE-Beobachter versuchen auf diese Wirklichkeit einzuwirken, sie versuchen Spannungen nicht nur abzubilden, sondern eben auch abzubauen, bevor es zu Explosionen kommt, über die dann andere wieder viel berichten.

Man hört von den Missionen recht wenig. Weshalb?

Sie sind eben nicht sehr spektakulär. Gerade wenn sie erfolgreich sind und Gewalt verhindern helfen, interessiert das weniger. Kommt es zur Gewalt, dann sind die Medien schnell da. Wer Gewalt zu verhindern weiss, bleibt oft unbekannt und findet vom Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht wahrgenommen.

Sie selber waren bei Wahl-Beobachtungen dabei. Was ist der Unterschied?

Ich habe in den vergangenen 20 Jahren tatsächlich schon über 75 Wahlen beobachtet. Die letzte in Mazedonien eben am vergangenen Wochenende. Das ist natürlich mit einer Krim-Beobachtermission nicht zu vergleichen. Als Wahl-beobachter beobachtet man den Vorgang einer zivilisierten Form der Auseinandersetzung, beziehungsweise deren finalen Teil, das Ausfüllen, die Abgabe und das Zählen der Wahlzettel. Man greift auch nicht ein, sondern beobachtet, stellt fest und macht dann einen Bericht, der allen Beteiligten helfen soll, das nächste Mal die demokratische Qualität der Wahlen zu verbessern. Wobei es in Tschetschenien, im Kosovo, in Albanien oder am 25. Mai in der Ukraine bei Wahlen nach kriegerischen oder bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen manchmal auch sehr knistert, die Spannungen fast mit Händen zu greifen sind und die Bürger manchmal nur mit Mühe ihre Fäuste zurückhalten können und auf die Waffen verzichten.

Wie haben sie diese erlebt? Was können diese Missionen bewirken?

Bei jeder Wahl in einem fremden Land lernt man unheimlich viel über Land und Leben kennen. In Albanien musste ich als Wahlbeobachter auch schon von österreichischen Grenadieren geschützt und von französischen Panzern chauffiert werden. Aber dies sind Ausnahmen. Vergangenes Wochenende war es am mazedonischen Ohridsee sehr friedlich und warm, doch man spürte, dass die verschiedenen Volksgruppen in diesem kleinen Land im Südwestbalkan einander wieder sehr misstrauisch aus dem Wege gehen und die Integration Mazedoniens noch immer eine konkrete Utopie darstellt. Primär bewirken Wahlbeobachtermissionen, dass man die Schwächen des sehr vielfältigen Wahlprozesses erkennen und so dazu beitragen kann, mit entsprechenden Reformen die demokratische Qualität der kommenden Wahlen zu erhöhen. Manch ein Mazedonier hat sich jedenfalls am vergangenen Sonntag sehr dafür bedankt, dass wir den weiten Weg zu ihm nicht gescheut haben.


Kontakt mit Andreas Gross



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