28. Dez. 2013
Sonntagsblick
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Er musste zehn Jahre ins Gefängnis, weil er mehr war als ein simpler Oligarch
Andreas Gross über Michael Chodorkowsky
Andreas Gross (61) ist SP-Nationalrat aus Zürich, im Europarat Fraktionspräsident der Sozialdemokraten und als Mitglied der Monitoring-Kommission des Europarates seit 2008 mitzuständig für die Russische Föderation.
Zwar meinte ein freiheitlicher Sozialist aus dem französischen Jura schon vor mehr als 150 Jahren, Eigentum, zumal immenses Eigentum an riesigen Fabriken und anderen Produktionsmitteln, sei Diebstahl. Ins bürgerliche Gesetzbuch schaffte es diese These jedoch nirgends. Ganz besonders nicht im Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion, als der Staat zwar über immense Rohstoffvorkommen und riesige alte Fabriken verfügte, jedoch fast kein Geld besass, um Löhne und Renten zu zahlen. So konnten Mitte der 1990er Jahre Kenner der Rohstoffreserven mit guten Beziehungen zu den Regierenden für wenig Geld enorme Reichtümer erwerben. Diese Schnäppchenjäger im staatlichen Ausverkauf wurden zu legalen Räubern russischen Volksvermögens. Man nannte sie seit 1996 Oligarchen. 2003 besassen die zehn Grössten von ihnen 60 % der gesamten russischen Börsenwerte.
Michael Chodorkowsky war auch so einer. Zum Ende der Sowjetunion an der Spitze des kommunistischen Jugendverbandes wurde der junge Chemiker in den ersten Jahren der Russischen Föderation stellvertretender Energieminister. Er kannte sich also im Rohstoffsektor aus und hatte zu den Regierenden die besten Beziehungen. So baute und kaufte er sich einen Riesen-Oelkonzern, Yukos, zusammen, multi-milliarden stark. Erst genauso rücksichtslos wie seine Konkurrenz. Dann aber auch noch schlau und seriös. Er erkannte, dass nur mit einer korrekten Unternehmensführung das internationale Kapital nach Russland geholt werden konnte; und dieses Kapital wurde dringend benötigt zur technologischen Modernisierung der völlig veralteten Fabriken und für den Bau einer neuen Pipeline nach China. Damit wollte er 150 Milliarden Dollar verdienen. Chodorkowsky wurde sich bewusst, dass zu einem erfolgreichen Kapitalismus nicht nur der Markt und das Privateigentum gehören, sondern auch der Rechtstaat, unabhängige Gerichte, ein solider Staat, echter Pluralismus, ein wirkliches Parlament und Rücksicht auf die Interessen der Arbeitenden.
Statt wie andere Oligarchen TV-Sender, Fussballclubs oder Casinos, begann Chodorkowsky zu finanzieren, was der korrupte und desolate Staat sträflich vernachlässigte: Schulen, Spitäler, Kindertagesstätten, Universitäten und er gründete die Stiftung Offenes Russland. Und er begann auch jene politischen Kräfte zu unterstützen, welche einen Staat einrichten wollten, der dem Gemeinwohl verpflichtet war und den Bürgern dienen sollte; im Gegensatz zu denen, die ihn drangsalieren und für eigene Zwecke beherrschen wollen.
Damit überschritt er die rote Linie, welche der zweite russische Präsident Putin anfangs der 2000er Jahre den Oligarchen gesetzt hatte. Er liess sie reich und reicher werden, solange sie ihr Geld nicht für eine andere Politik und einen anderen Staat investierten. Chodorkowsky wurde im Herbst 2003 verhaftet, verurteilt, enteignet, sein Konzern verstaatlicht. Er erfuhr, was es heisst, wenn nicht demokratisch zustande gekommenes Recht herrscht, sondern politische Willkür.
Ich besuchte Chodorkowsky im Rahmen meiner Monitoring-Aufgabe der Parlamentarischen Versammlung des Europarates im Gefängnis, weil ich dazu beitragen wollte, dass er trotz seiner Milliarden nicht wie viele andere, die sich mit viel weniger Geld auch für eine andere, humanere Art der Transformation Russlands eingesetzt haben und verhaftet wurden, in den zum Teil sehr schlimmen Lagern und Gefängnissen Russlands auch noch sein Leben verliert. Ich traf im Winter 2010/11 einen Häftling, mittlerweile der bekannteste politische Gefangene des System Putins, der seine Haftzeit nutzte, um vom Oligarchen zum engagierten Bürger zu werden, und sich dabei bewusst wurde, dass ein Staat und eine Wirtschaft keine Zukunft haben, welche die Würde von Millionen von Menschen derart verletzen wie dies Russland und seine politisch und wirtschaftlich Herrschenden nach dem Zerfall der Sowjetunion gemacht haben.
Dass er jetzt, da er endlich frei gekommen ist, nicht um seine ihm wiederum gestohlenen Milliarden kämpfen, sondern sich für ein Russland ohne politische Gefangene einsetzen will, zeigt, dass selbst in Russland mehr möglich ist und noch möglich werden wird, als viele meinen und gemeint haben.
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