9. Nov. 2013

Weltgewissen

Zeitschrift des
Europahauses in Eisenstadt A

Wer eine andere und bessere Politik will, der
darf sie nicht einfach den Politikern überlassen
(… und noch viel weniger irgendwelchen Majestäten
oder Wirtschaftsvertretern)



Die Fragen stellte das Weltgewissen.

1.
Vollbeschäftigung ist aufgrund fortschreitender Automatisierung nicht mehr möglich. Wie will man die Arbeit neu verteilen, damit nicht wie in manchen Ländern 50 Prozent der Jugend keine Chance hat etwas aufzubauen?


Arbeit gibt es genug und wird es noch lange genug geben! Die Frage ist nur, ob alle gesellschaftlich sinnvolle Arbeit so bezahlt werden kann, dass die Arbeitenden auch vom Lohn leben können. Wenn in einem Staat der entsprechende politische Wille besteht, dann ist dies auch möglich. Wenn beispielsweise innerhalb der EU zudem kontinentale Normen gelten, die entsprechende Anreize schaffen, hilft dies ebenso. An beidem fehlt es bisher aber allzu oft und an zu vielen Orten.

Freilich darf man es sich auch nicht zu einfach machen. Die verantwor­tungs­lose Jugendarbeitslosigkeit in Spanien ist nicht der fortschrei­ten­den Automatisierung geschuldet, sondern einer zu schwachen, pra­xis­fernen und zu universitätslastigen Berufsbildungspolitik, einer zu ein­seitigen, auf die Bauwirtschaft fixierten Wirtschaftspolitik mit einer ver­ant­wort­ungs­losen Bankenpraxis, auch jenen ohne Ersparnisse Kredite aufzuschwatzen, die sie nachher nicht verzinsen konnten. Dann wollte der Staat diese Banken sanieren und es fehlte ihm das Geld für die notwendigen Sozialleistungen, die wirtschaftlichen Umstruk­turie­run­gen und die Bezahlung gesellschaftlich sinnvoller Arbeitsleistungen durch die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Jugendlichen. Auch EU-Gel­der wurden in Spanien nicht entsprechend der dringendsten Bedürf­nisse der Mehrheit der Menschen investiert, sondern teilweise in Grossprojekten (Hochgeschwindigkeitszügen), Autobahnen und Über­bauungen, welche unterdurchschnittliche arbeitsschaffende Wirkungen zeigten.

Mit dem Umbau und der Stärkung des Ausbildungswesens, der Förde­rung des Gewerbes und der mittleren Unternehmungen und der Fi­nan­zier­ung von gesellschaftlich sinnvollen Engagements (Genossen­schafts­förderung) der gegenwärtigen nicht vom sogenannten Arbeit­markt integrierten, zum Teil sehr gut ausgebildeten «Arbeitslosen», kann man dies durchaus realisieren. Doch es setzt den entsprechenden Willen voraus. Es gibt dazu auch genug Vorbilder, von denen man sich inspirieren lassen kann, ich denke da vor allem an Dänemark.

Entscheidend ist, dass man in die Bildung und Ausbildung investiert, dort vor allem die praxisnahe Berufslehre wieder aufwertet und die Grün­dung von kleinen Unternehmen sowie die Fähigkeit der Menschen, sich selber zu organisieren, fördert. Kommen auf europäischer Ebene Neuerungen hinzu wie beispielsweise eine europäische Arbeitslosen­ver­si­che­rung, die auch von Unternehmen mitfinanziert werden, so dass diese auch ein Interesse bekommen, sie abzubauen, können wir durchaus die notwendige Arbeit auf fast alle verteilen und alle auch ausreichend entlohnen.

Wichtig ist dabei immer, dass das Arbeiten und das Recht, von der Arbeit leben zu können, priorisiert wird vor Renditeinteressen des Kapitals oder Privilegierungen gewisser Wirtschaftssektoren (Banken und Versicherungen) und entsprechenden sogenannten Marktbegebenheiten.

2.
Global gesehen wird Europa wirtschaftlich abbauen und den Woh­lfahrtsstaat wird es nicht mehr lange geben (wie vor kurzem in den Niederlanden von «Seiner Majestät» kundgetan). Gibt es in Europa Konzepte für eine kontrollierte Verarmung. Wer wird zur Kasse gebeten werden?


Umbau bedeutet nicht notwendigerweise Abbau. Und wenn eine «Majestät» auf etwas verzichten will, das sie eh nie gebraucht hat, erstaunt dies nicht weiter, muss uns also nicht überraschen. Das gilt sowohl für den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft wie auch für den Umbau des sogenannten Wohlfahrtsstaates, der mehr Wohlfahrt versprach, als er realisiert hat.

Wir müssen uns auch nicht mit der Verarmung abfinden oder sie kontrollieren wollen. Wir können die notwendigen Umbauten schaffen, ohne dass die Lebensqualität der weniger privilegierten Hälfte unserer Gesellschaften geschmälert würde. Man muss dies freilich wollen. Dann kann man dies auch.

Freilich braucht es dazu Staaten, die in der Lage sind, die entspre­chen­den Umbauten so zu finanzieren, dass die bereits benachteiligten Menschen nicht noch mehr leiden. Dazu muss aber die Macht der Politik, auch sehr reiche Menschen und Unternehmungen zur Bezahlung der demokratisch beschlossenen Steuern zwingen zu können, aufrechterhalten und nicht unterwandert werden. Denn dies ist das zentrale Problem unserer Zeit: Die Staaten und die Demokratie werden nicht in die Lage versetzt, ihre Aufgabe und ihre Rolle im Hinblick auf die faire Verteilung der Lebenschancen wahrnehmen zu können, weil das reiche Viertel unserer Gesellschaften auf vielerlei Art im Bemühen unterstützt wird, die dazu notwendigen Steuern nicht zu bezahlen. Ein verarmter Staat kann aber kein sozialer Staat sein. Und weil der Markt längst transnational funktioniert, braucht es auch die Transnationalisierung der Demokratie, welche ihr ermöglicht, auch transnational Regeln zu setzen, die alle - auch marktmächtige Unternehmen und reiche Individuen - berücksichtigen müssen.

3.
Warum wird in den EU-Institutionen das Lobbying nicht verboten?


An sich gehört Lobbying zum Parlamentarismus wie der Weihrauch in die Katholische Kirche. Ihre Frage zielt viel mehr auf das Mass und die Form und die Bedeutung des Lobbyings. Durch Lobbies verschaffen sich Interessengruppen im Umfeld von Parlament und Verwaltung Gehör und versuchen politische Entscheidungsprozesse zu beein­flussen. Das ist bis zu einem gewissen Grad durchaus legitim.

Schlimm wird es freilich, wenn solche Lobbies, die immer Teilinteressen verfolgen, den öffentlichen Raum sowie das Umfeld von Parlament und Verwaltung dominieren und Organisationen, welche Allgemeinin­te­res­sen vertreten, nicht mehr gehört werden. Schlimm wird es auch, wenn Parlamentarier gar nicht mehr in der Lage sind, Lobby-Informationen als solche zu erkennen und zu relativieren. Wenn sie also so sehr eingespannt sind im Hamsterrad, dass sie andere Informationsquellen gar nicht mehr erreichen und auch weder die Zeit noch den Raum haben, den es zur Reflexion und Diskussion braucht, wenn eine weise und nicht bloss eine schnelle Entscheidung gefällt werden soll.

Es kann also nicht darum gehen, Lobbies verbieten zu wollen. Sondern sie müssen einerseits transparent gemacht werden. Und andererseits müssen Parlamentarier und Bürger und Medien und Vereinigungen, die Allgemeininteressen vertreten, so unterstützt werden, dass sie nicht von Lobbies dominiert werden können.

Verboten werden muss nur, dass Lobbyvertreter über die Einsitznahme in Ministerien oder durch die Auslagerung von Gesetzgebung oder über die Instrumentalisierung von Parlamentariern direkt Gesetze oder Teile von ihnen formulieren.

4.
Bis wann werden in den EU-Staaten oder auch weltweit für die Firmen die gleichen fiskalischen Bedingungen geschaffen (gleiche Sätze für Unternehmenssteuern), damit nicht Firmen wie Google, Amazon und Starbucks ihre Gewinne in Milliardenhöhe am Fiskus vorbeischleusen können?


Das ist eine Kernfrage im Zusammenhang mit der Entmachtung der Politik und der Verschiebung von zu viel Macht von der Politik zur Wirtschaft, von der Demokratie zu den Kapitaleignern. In der heutigen, auf einem Vertrag basierten EU, haben die Bürger und ihre Interessen nur eine schwache Stimme. Wer die Bürger und ihren Einfluss stärken will, muss die EU endlich auf eine Verfassungsbasis stellen. Erst dann wird jedes in der EU geltende Recht von direkten Vertretern der Bürger geprägt werden, von den direkt gewählten Abgeordneten sowie der zweiten Senatskammer, die sich aus Vertretern der nationalen Parla­mente zusammensetzt. So können diese künftigen Parlamentarier auch EU-Normen setzen, welche den grossen Firmen nicht passen und dadurch verhindern, dass sie die einzelnen EU-Staaten gegeneinander ausspielen und die notwendigen und gerechten Steuern verweigern können. Diese Transformation der EU muss in allen EU-Staaten unsere grosse Aufgabe sein: Wir sollten national und europäisch nur solche Parteien und Menschen wählen, die dazu bereit sind. Doch wer hat bei der letzten Nationalratswahl von der EU gesprochen und wer wurde da beauftragt, auch in Wien alles zu tun, damit die EU endlich verfasst wird und nicht mehr exekutiv dominiert werden kann?

5.
Gibt es ein Konzept in Europa bzw. den USA (die Notkredite und Bürgschaften des ESM sind nur eine Notlösung) für die immer größer werdende Staatsverschuldung oder gibt es nur die Op­tio­nen Finanzkrach oder galoppierende Inflation?


Das sind natürlich keine Optionen, denn unter solchen Unfällen leiden die einfachen Leute immer am meisten. Die Staaten müssen nicht nur lernen, wie sie alle, auch die Reichen, wieder zum Steuern bezahlen zwingen können, sondern sie müssen auch lernen, nur so viel Geld auszugeben, wie sie bekommen. Auch da hilft die Demokratisierung. Denn wo immer die Bürger etwas mitentscheiden können, beziehungs­wei­se gefragt werden müssen, bevor Geld ausgeben werden kann, wird sorgfältiger und sparsamer mit öffentlichen Geldern umgegangen. Auch hier gilt also: Wer eine andere und bessere Politik will, der darf sie nicht einfach den Politikern überlassen. Er muss sich selber engagieren und vor allem für eine Stärkung der Demokratie sorgen, dass die Bürger mehr tun dürfen als nur Parlamente zu wählen.

Und auch zwischen den Wahlen müssen sie entscheiden dürfen. Nur so kann verhindert werden, dass Lobbies und Sonderinteressen sich zu oft durchsetzen können zu Lasten der Allgemeininteressen, der Natur und der nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaft.

6.
Wann werden in Europa, in den USA, … die Banken endlich ge­splittet in Sparkassen, wo die Staaten die Einlagen bis zu einer gewissen Höhe garantieren und in Casinobanken, wo das Risiko ausschließlich beim Kunden liegt?


Das war einmal schon so, in den USA in den 1930er Jahren beispiels­weise, und das wird auch bald wieder so sein. In der Schweiz sind einige daran, eine solche Gesetzesreform voranzubringen. In Europa kann und sollte dies auf EU-Ebene EU-weit durchgesetzt werden, wobei da wahrscheinlich die konservativen Briten, die ihr Schicksal zu sehr in die Hände der Londoner City gelegt haben, querstehen werden. Das heisst, auch da braucht es den Druck von unten, um diese Widerstände überwinden zu können.


Kontakt mit Andreas Gross



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