15. Feb. 2013
Broschüre Schweiz 50 Jahre im Europarat
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Die Globalisierung verkennt die Interessen und Bedürfnisse der vielen nicht privilegierten Menschen
Womit beschäftigen Sie sich konkret?
Derzeit suche ich nach Antworten auf folgende vier für die Zukunft aller Europäer und Europäerinnen zentralen Fragen:
- Wie können wir in Russland die Entwicklung der Demokratie stärken und die Achtung der Menschenrechte voranbringen?
- Wie können wir in Europa auf allen Ebenen föderalistischen Prinzipien mehr Nachachtung verschaffen, so dass Staaten weniger zentralistisch organisiert sind und die Europäische Integration ein Form erhält, in der Bürgerinnen und Bürger freier sind, sich besser selbst bestimmen können und die Politik nicht als Fremdes empfinden?
- Welche europäischen Parlamente sind so ausgestaltet, dass die Parlamentarier ihre Arbeit optimal machen, den Regierungen auf die Finger schauen und die Bürgerinnen und Bürger gut vertreten können?
- Weshalb beobachten wir in Ungarn, Rumänien, Mazedonien und Bulgarien derzeit eine Erosion der Demokratie: Die Regierungen missbrauchen ihr Macht mehr als dass sie im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nutzen?
Alle vier Fragen versuche ich in Berichten zu beantworten, worin dann auch Reformvorschläge zum entsprechenden Handeln der Regierungen und Parlamentskollegen enthalten sind, die erst in den Kommissionen und im Plenum der Parlamentarischen Versammlung besprochen und vielleicht modifiziert werden. Meine Antworten und Handlungsvorschläge beruhen auf unzähligen Gesprächen vor Ort mit Kritikern und Verteidigern der Macht und der Verhältnisse sowie vielerlei Lektüre, in der ganz verschiedene Ansichten und Bausteine des Bestehenden zum Ausdruck kommen. Eine anstrengende Arbeit, gewiss, aber eine, mit der man sich identifizieren kann und bei der man noch mehr dazulernt.
Was können Sie mit Ihrer Arbeit bewirken?
Wir sind nicht im Fussball, wo ein Tor zum Sieg, oder im Betrieb, wo die Arbeit zum Lohn führen (kann). In der Politik und vor allem in europäischen internationalen Politik sind die Wirkungen eines grossen Engagements verschlungener und weniger subito sichtbar. Doch nur weil man diese Wirkungsprozesse weniger gut messen und weniger schnell sehen kann, sind nicht weniger wichtig und existent.
So käme uns die Demokratie noch ganz abhanden, wenn wir deren Erosion nicht reflektieren und auf jener Ebene diskutieren würden, auf der sie neu eingerichtet werden muss, damit sie wieder halten kann, was sie verspricht: Auf der europäisch, transnationalen; schliesslich wollten schon die engagiertesten Gründer des Europarates vor mehr als 60 Jahren, dass aus der Parlamentarischen Versammlung die verfassungsgebende Versammlung Europas wird – ein Ziel, das heute nach dem Ende der Spaltung Europas und angesichts der einseitig wirtschaftlichen Globalisierung und Integration Europas mehr als nötig und dringend ist!
Wo sehen Sie künftig die grössten Herausforderungen für den Europarat?
Die grösste Gefahr für den Europarat ist die gleiche wie die grösste Gefahr für alle Europäerinnen und Europäer: Der Nationalismus, der mehr oder weniger in allen Ländern Europas um sich greift – und vergessen Sie nicht, was der französische Präsident Mitterand vor bald 20 Jahren anlässlich seines letzten Auftrittes vor dem Europaparlament sagte: «Nationalismus bedeutet letztlich Krieg!»
Der aufkommende Nationalismus ist im Europarat unüberhörbar und nicht zu übersehen. Parlamentarier vertreten nur noch Regierungen und ihre Staaten und vergessen die Bürgerinnen und Bürger. Sie handeln und denken egoistisch und grenzen andere aus. Immer weniger erkennen, das die wesentlichsten Aufgaben nur landesübergreifend angegangen werden können.
Die Ursachen des wieder aufkommenden Nationalismus sind ebenso klar: Die Globalisierung verkennt die Interessen und Bedürfnisse der vielen nicht privilegierten Menschen und die nationalen Demokratien können diese auch nicht mehr nachhaltig verteidigen. Deshalb wenden sich viele von Europa ab, das für sie zum Problem statt zum Ort der Problemlösung wurde. Deshalb brauchen wir eine neue Europapolitik, eine echte föderalistische demokratische Verfassung für Europa und so kann die Politik die Ökonomie und ihre Märkte zivilisieren und sie zwingen, auf die Menschen und die Natur Rücksicht zu nehmen.
Kontakt mit Andreas Gross
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