1. Mai 2013

Manuskript Rede zum Tag der Arbeit in Solothurn

Alleine kann man politisch nur verzweifeln


Wir sollten uns an jedem Tag des Jahres ein Stück des Tages für einen kleinen 1. Mai frei halten - zum Nachdenken, diskutieren und handeln.

Es gibt viele, die behaupten der 1. Mai sei eine Sache von gestern, veraltet, out-dated, passé. Die Gleichen, die meinen, man könne ja eh nichts tun, es lohne sich nicht, es sei eh alles zu kompliziert.

Dieses Missverständnis, diese Verkennung des Charakters des 1. Mai hat viel mit der Ohnmacht, mit dem politischen Verlorensein dieser Vielen zu tun. Denn der 1. Mai ist der Tag, an dem jene, die von ihrer Arbeit leben, zusammenkommen und nachdenken, diskutieren.

Selten war das gemeinsame Nach-, Vor-, überhaupt das Denken so wichtig wie heute. Das erkennt man daran, wie viele kapitulieren vor der sogenannten Komplexität der heutigen gesellschaftlichen Realitäten und meinen, früher sei alles einfacher und übersichtlicher gewesen.

Alleine kann man nicht alles. Vielleicht kann man alleine reich werden. Doch den Durchblick schaffen wir alleine nie. Vom Handeln ganz zu schweigen. Wir brauchen eben die Diskussion mit anderen Kollegen, Freunden, Genossen, gerade auch wenn sie andere Erfahrungen machen und andere Perspektiven sehen, um miteinander der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen und merken zu können, wie wir wo ansetzen können, um die Verhältnisse ins Lot zu bringen, das Unrecht, das vielen angetan wird, abzubauen.

Alleine kann man politisch nur verzweifeln. Um das, was an politischer Macht in uns steckt zu entwickeln und wahrzunehmen, müssen wir uns mit ähnlich Gesinnten zusammentun. In welcher Form auch immer; das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass wir nicht glauben, alleine etwas ausrichten zu können. Wir brauchen also diese Gemeinsamkeit, um den Durchblick zu finden, als Voraussetzung für unser gemeinsames Handeln.

In dem Sinne dürfen wir die ernsthafte Diskussion nicht unterschätzen. Sie ist mit dem Konsum von televisionären Talkshows und anderen eitlen Anpöbeleien nicht zu verwechseln. Die Qualität einer Diskussion erkennt man daran, ob alle Beteiligten klüger nach Hause gehen als sie es vorher waren.

Damit sich etwas verändert, muss es erst diskutiert, von allen Seiten ergründet werden. Deshalb brauchen wir die Gemeinsamkeit. Sonst können wir nicht vernünftig handeln. Alleine sind wir nicht nur schwach, wir sind hilflos. Gemeinsam können wir aber eine Kraft entwickeln, die selbst Felsen aus dem Weg räumen kann, selbst wenn diese mit viel Geld verankert worden sind.

Einige Beispiele:

1. Alleine übersehen wir, dass es am 9. Juni bei der Abstimmung um die Wahlform des Bundesrates keineswegs um mehr Demokratie geht. Was uns vorgeschlagen wird, ist nicht die Krönung der Direkten Demokratie, sondern deren Schwächung. Denn die Güte der Direkten Demokratie macht die Auseinandersetzung um die Sache aus; hier wird uns vorgegaukelt, wir müssten mehr über Personen reden, welche jenen, die mit ihnen zusammenarbeiten müssen, viel besser bekannt sind als jenen, denen sie mit vielen Millionen Franken Werbegeldern erst angepriesen werden müssen.

2. Gemeinsam merken wir, dass sich ohne Europa heute kein grosses echtes politisches Problem besser lösen liesse als mit ihm. Dies gilt von der Umweltbelastung bis zur Arbeitslosigkeit, von der Verlagerung der Güter auf die Schiene bis zum Ausgleich der Lebenschancen zwischen Europa und Afrika, der Ursache des zu Viel an Migration. -- Doch wenn wir genau über Europa nachdenken und auch dessen Geschichte erkennen, dann merken wir, dass die EU umgebaut werden muss, damit sie im Interessen aller Europäerinnen und Europäer wirksam werden kann. Und umbauen heisst, die EU auf die Basis einer echten föderalistischen Verfassung zu stellen, welche dafür sorgt, dass die Menschen und ihre Nöte nicht länger überhört werden können. -- Dafür müssen aber dann diese Menschen auch etwas tun. Denn mehr Demokratie und Freiheit wird nie pfannenfertig ins Haus geliefert. Damit müssen sie es aber erst begreifen. Dann merken sie, dass wir die Demokratie nur stärken können, wenn wir sie transnational ausweiten und neu einrichten. Der Nationalstaat ist längst zu klein geworden für eine starke Demokratie. So wie eine Telefonkabine zu klein ist, damit ein Messi oder von mir aus ein Lewandowski ihre Kunst entfalten können.

3. Überhaupt, in unseren notwendigen gemeinsamen Diskussionen können wir heute merken, dass die Entmachtung der Politik und der Arbeit während letzten zwei Jahrzehnte zugunsten der Macht der Märkte und vor allem des Finanzkapitals nur aufgehalten werden kann, wenn mehr Menschen merken, dass sie es in der Hand haben, das Primat der Politik, das heisst die Freiheit aller, wieder herzustellen. -- Doch dafür müssen wir gemeinsam etwas tun. Wir müssen handeln. Auf allen Ebenen, auch und vor allem auf der europäischen. Deswegen braucht es die europäische Verfassung. Eine bessere Verteilung der Macht. -- Nur so können wir verhindern, dass die Wirtschaft einfach eine ganze Generation in Arbeit zu nehmen vergisst. Auch uns Schweizern geht es schlecht, wenn weiterhin fast die Hälfte der jungen Griechen, Spanier, Italiener oder Türken ohne Erwerbsarbeit darben müssen. Eine europäische Demokratie würde auch eine europäische Arbeitslosenversicherung schaffen, die so zu finanzieren wäre, dass es dem Kapital zu teuer würde, junge Menschen von der Erwerbsarbeit auszuschliessen und ihnen so die Freiheit zu nehmen, das Leben nicht als Schicksal erleiden zu müssen.

Wir könnten noch Dutzende von Quellen von Unrecht und Ungerechtigkeiten ansprechen, die es gemeinsam nachdenkend zu durchschauen gälte, um so herauszufinden, was wir tun müssen, um die Verhältnisse zu ändern. Es gibt so viel zu tun, es kommt auf jeden an, tatsächlich - und selbstverständlich reicht ein 1. Mai im Jahr nicht aus, um zu leisten, was zu tun ist.

Doch am 1. Mai sollten wir uns eben in Erinnerung rufen, dass wir gemeinsam politisch stark sein und handeln können. Und dass wir die Anderen auch brauchen für eine gute Diskussion , welche die Voraussetzung ist für weise Entscheidungen, was wie am besten getan werden kann. Und so können wir merken, dass wir an jedem Tag des Jahres ein Stück des Tages für einen kleinen 1. Mai frei halten sollten, zum Nachdenken, diskutieren und handeln.

Das heisst also, die Kernidee des 1. Mai ist nicht nur nicht veraltet, sie ist moderner und angemessener als die meisten von uns sich bewusst sind. Warten wir also nicht bis zum nächsten 1. Mai, sondern denken wir jeden Tag daran, dem Grundmotiv des 1. Mai entsprechend zu handeln.

Dann können wir die Schweiz so umbauen, dass sie uns allen eine wirkliche Heimat bietet und sie auch tagtäglich dem Bild annähert, das wir so gerne von ihr zeichnen.

Sie hat uns nötiger denn je!


Kontakt mit Andreas Gross



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