3. März 2013
Der Sonntag
|
Die Demokratie wird vom Geld kolonialisiert, das stärkt die Populisten
Zum Populismus in Europa
Die Fragen stellte Alan Cassidy
Bei allen landestypischen Unterschieden zwischen den populistischen Bewegungen Europas: Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie?
Zuerst müssen wir uns darauf verständigen, was wir unter Populismus verstehen. Primär ist er für mich eine bestimmte Kommunikationsfigur, das heisst mehr eine Art des politischen Redens, und weniger mit einem politischen Inhalt verknüpft. Zweitens ist er ein Begriff mit dem man die Anderen, meistens solche, die man kritisieren und sich von ihnen distanzieren will, kritisiert, beziehungsweise diskreditiert.
Die populistische Redensart enthält immer ähnliche Diskurselemente, wobei deren Anteil und Zusammensetzung je nach Ort und Zeit und Tendenz unterschiedlich ist. Ich denke vor allen an Simplifikationen, einfachen Schuldzuweisungen, Reduktion von Komplexität, Anbiederungen an das jeweilige Publikum. Der Populist versucht, seinen Zuhörern nach dem Mund zu reden, er verführt sie dorthin, wo sie hin wollen, beziehungsweise bestätigt sie, auch ihre Vorurteile. Er meldet nie Widerspruch an, unterlässt intellektuelle Herausforderungen.
Populisten gibt es in allen Schattierungen; Steinbrück ist beispielsweise auch einer. Kein Politiker ist gewiss, immer ganz frei zu sein von populistischen Diskurselementen und ohne sie auszukommen.
Das spezifische unseres gegenwärtigen Momentes ist die Dominanz des populistischen Diskurses in vielen nationalen Öffentlichkeiten. Der Populismus ganz allgemein und seine Dominanz im besonderen sind Ausdruck einer fundamentalen Krise des Politischen und insbesondere ist er Ausdruck der Schwächen und des Schwächelns unserer gegenwärtigen Demokratie(n). Je ohnmächtiger Menschen einem Berg von ungelösten Problemen gegenüberstehen und je mehr existenzielle Probleme sie nicht bewältigen können, umso eher verfallen, beziehungsweise greifen sie zu populistischen, vermeintlich erklärenden Diskursen.
Die fundamentale Schwäche und das Schwächeln der Demokratie hat mehrere Komponenten, welche den populistischen Diskurs in fast allen Ländern Europas alimentieren: Die Bürgerinnen merken, dass die Politik ihre fundamentalen Aufgaben nicht meistern kann, dass sie den wirtschaftlichen Problemen hilflos gegenübersteht.
Die Krise des Politischen und die Steilvorlage für alle Populisten besteht vor allem in der Reduktion der Politik auf den Vollzug einer vermeintlich alternativlosen Logik der Ökonomie und des Marktes. Dabei merkt die Mehrheit der Menschen, dass ihre Interessen nicht und die Bedürfnisse der wenigen Privilegierten sehr befriedigt werden.
Daraus entsteht Wut, Angst und Verzweiflung, die instrumentalisiert werden von Populisten mit Schuldzuweisungen an Ausländer, Andere, Faule, den Süden, Schmarotzer (oder auch in Kombination mehrerer); nationalistische und regionalistische Verengungen und vor allem Schuldzuweisungen an die da oben, an die Elite, oder politische Klasse, zu denen die Chefpopulisten oft auch selber gehören (Berlusconi, Blocher, Haider selig, Wilders u.a.m.).
Der Populismus ist heute auch so stark und dominierend, weil der populistische Diskurs der Strukturkrise vor allem in den Printmedien entgegenkommt: Skandalisierungen verkaufen sich gut, Personalisierungen und Simplifizierungen ersetzen teure Recherchen und anstrengende Vertiefungen, die vermeintlich keine Käufer finden – die wenden sich aber von solchen Angeboten gerade deswegen ab!
Unterstreichen möchte ich aber, dass heute zu schnell zu viel und zu achtlos von Populisten und populistischen Bewegungen die Rede ist, vor allem wenn sich neue, unbekannte Kräfte und Bewegungen schnell erklären lassen müssen, deren Hintergründe man nicht nachgehen kann oder will. Dies ist nun im Zusammenhang mit den Grillini ebenso deutlich wie bei den griechischen Linken oder seinerzeit bei Lafontaine und der Linken.
Welche Rolle spielt für den Erfolg der Populisten in Ihren Augen die Kritik an der EU – und welche Folgen hat das?
Die EU spielt mit ihrer unausgereiften, exekutivdominierten, zentralistischen Form sowie wegen ihrer rein ökonomistischen Inhalte für den in Europa grassierenden Populismus eine entscheidende Rolle. So ist die Basis der EU ein Staatsvertrag, der sie Regierungen ebenso dominieren lässt wie das halbierte Parlament, beziehungsweise die Möglichkeit der nationalen Exekutiven, europäisches Recht zu setzen. Was an Verfassungsgebung und transnationaler demokratischer Fundierung der ungeheuren Macht der EU in den letzten 20 Jahren verpasst wurde, rächt sich nun in einem ausserordentlichen Ausmass.
Doch statt diese europäischen Fehler, Unzulänglichkeiten und historisch erklärbaren Irrtümer zu erklären, machen es sich die Populisten einfach und empfehlen statt dessen die nationalistische Reduktion, eine Falle letztlich, welche die Erosion des Politischen und der Demokratie nur beschleunigt statt stoppt. Doch die Alternative ist eben anstrengend und nicht für 30 Sekunden Soundbites geeignet.
Wir brauchen heute mehr und ein anderes Europa, um aus den Krisen herauszukommen – diese These ist aber sehr erklärungsbedürftig und anstrengend.
Welche Rolle spielt die Austeritätspolitik der Eurozone?
Ausdruck der fehlenden europäischen Demokratie ist die Dominanz der Marktlogik und der stärksten Wirtschaft, also der deutschen. Deren Vertreter haben das Sagen und sie setzen die Prioritäten in der EU – bewusst oder unbewusst. Das ist mit einer gemeinsamen Währung absolut unvereinbar; sie spaltet nun entlang der wirtschaftlichen Stärken statt zu integrieren. Wenn nun auch in Italien eine Mehrheit antieuropäisch wählt ist dies für Europa unheimlich, denn die Italiener waren bisher auch wegen der Schwächen ihres eigenen Staates die überzeugtesten Europäer!
Die Austeritätspolitik der EU macht die Armen immer ärmer und erlaubt ihren Wirtschaften nicht, sich zu sanieren – das lässt die Menschen verzweifeln und bringt sie gegen Europa auf.
Wenn ich aus Ihrem Report paraphrasiere, schreiben Sie: Die Finanz- und Wirtschaftskrise habe das Vertrauen in die Demokratie untergraben und ihre Grenzen aufgezeigt. Liegt darin das Problem? In der Ohnmacht gegenüber der nationalstaatlichen Demokratie? Oder entlädt sich hier nicht auch der Frust über das oft beklagte Demokratiedefizit der EU?
Das eine hängt doch mit dem anderen zusammen: Die Entwicklung der Märkte schwächt die Eingriffsmacht des einzelnen Nationalstaates in wirtschaftspolitischer Hinsicht enorm. Er kann das Versprechen der Demokratie und die Hoffnungen ebenso wie die Erwartungen seiner BürgerInnen nicht mehr erfüllen. Doch auf der europäischen Ebene ist die Demokratie bisher nicht eingerichtet worden. Also ergibt sich eine Entmachtung der Demokratie, des Bürgers, zugunsten der Ermächtigung der Marktkräfte, der Kapitaleigner, der Spekulanten. Das ist mehr als Frust und das Defizit ist mehr als beklagenswert. Genau dies nicht zu sehen, hiesse den Populisten in die Falle zu gehen. Sie sind nur so stark, weil ihnen Menschen zulaufen, die von wirklichen Problemen und Nöten getrieben werden; die Gründe für diese Probleme nicht zu sehen und somit auch nicht zu beheben, macht die Populisten stark.
Inwiefern fängt die direkte Demokratie der Schweiz populistische Stimmungen der letzten Jahre auf? Stichwort Minarett-, Ausschaffungs-, Abzocker-, Ecopop-Initiativen …
Die direkte Demokratie offeriert Populisten zusätzliche und vielfältige Artikulationsformen. Sie ist aber nicht der Grund für die Populisten. Zudem zwingt die direkte Demokratie, sofern eine demokratische Infrastruktur vorhanden ist und gut funktioniert, zu Auseinandersetzungen, die einen Polulisten auch entlarven können und schwächen. Letztlich ist die direkte Demokratie eine fortgeschrittene institutionelle Entwicklung der Demokratie, welche populistische Diskurse schwächt und das politische Denken stärkt.
In der Schweiz liegt derzeit aber die für eine gesunde direkte Demokratie notwendige demokratische Infrastruktur im Argen, die direkte Demokratie droht, vom Geld kolonialisiert zu werden. Vor allem in der deutschen Schweiz krankt die politische Öffentlichkeit; die Parteien können ihre Arbeit nicht machen und jenen, welche Allgemeininteressen vertreten, fehlen gegenüber gut ausgestatteten Verbänden die Ressourcen, so dass die direkte Demokratie ihre Stärke gegenüber populistischen Simplifikationen nicht umsetzen kann.
Kontakt mit Andreas Gross
Nach oben
|