28. Dezember 2012
Tages-Anzeiger
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Europarat zur Fifa: Reformprozess darf nicht gebremst werden
Von Andi Gross
Andi Gross (60) ist Politikwissenschaftler, seit 1965 FCB-Fan, seit 1991 Nationalrat aus Zürich und seit 2008 Fraktionspräsident der Sozialdemokraten im Europarat.
Der Sport ist bekanntlich die wichtigste Nebensache der Welt; der Fussball die Hauptsache in dieser Nebensache. Den Ball treten auf der ganzen Welt am meisten Menschen. Und noch mehr schauen gerne zu. An den 33 Tagen einer Fussball-WM sitzen kumuliert weltweit 26 Milliarden Menschen irgendwo vor Bildschirmen – fünf Mal mehr als bei den Sommer-Olympiaden. Keine Sportart ist universeller. Keine generiert mehr Geld.
So ist der Fussball in den vergangen Jahrzehnten zu einem Riesengeschäft geworden. Der grösste Werbeträger für alles, von der Tranksame bis zur Elektronik. Eine immense Geldmaschine, in der viele, auch zwielichtige Figuren, mitverdienen wollen. Da wird nicht nur gespielt und gedrippelt, sondern auch betrogen, geschmiert, bestochen und geschummelt.
Kein Wunder, dass sich seit einiger Zeit auch das am meisten Menschen vertretende Parlament der Welt, die 320 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den 47 Staaten des Europarates mit fast 800 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, mit den verschiedenen, vor allem den trüben Seiten des Fussball-Business auseinanderzusetzen begannen. Denn sie dürfen alles näher unter die Lupe nehmen, was Europäerinnen und Europäer beschäftigt. Und so arbeiteten sie Empfehlungen aus, welche Wettbetrug, Spielmanipulationen und Doping verhindern, Korruption abbauen sowie die Organisation des Fussballs, die Vergabe der WM-Spielorte ebenso wie den Umgang mit den entsprechenden riesigen Gewinnen in ordentliche Bahnen lenken wollen.
Damit geriet natürlich jene Organisation in das Blickfeld des Europarates, welche die wichtigste ist im Fussball: Die Fifa, der Weltverband, die mit 209 mehr Landesverbände umfasst als die UNO Staaten, in Zürich zu Hause ist, organisiert wie irgendein eidgenössischer Verein nach dem relativ simplen schweizerischen Vereinsrecht und geprägt seit einem gefühlten Jahrhundert vom umtriebigen Walliser Josef (Sepp) Blatter (75). Vorgestern befasste sich die Kulturkommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Paris an einem dreistündigen Hearing mit dem Reformprozess auseinander, den die Fifa vor 18 Monaten begann und der von gewissen Kreisen schon wieder zum entgleisen gebracht werden soll.
Dabei taten sich vor allem der ehemalige Präsident des Deutschen Fussballverbandes, Theo Zwanziger, hervor, der mit dem Beginn des Reformprozesses Einsitz nahm in der Regierung der Fifa, dem Exekutivkomitee, sowie der ehemalige französische Diplomat, Fifa-Generalsekretär und jetzige Konsulent Jérôme Champagne und, auf dem Korrespondenzweg, der Basler Professor und Anti-Korruptionsexperte Mark Pieth, der in der Rundumerneuerung der Fifa eine wichtige Rolle ausübt.
Zwanziger machte glaubhaft, dass der Reformprozess der Fifa keine Alibiveranstaltung ist. Es gehe voran mit der Demokratisierung, der Gewaltenteilung, der Transparenz, der Entflechtung zwischen Regelungskompetenz und Business, und die neu geschaffene, in eine disziplinarische, anklagende und eine urteilende Kammer unterteilte Justizabteilung arbeite bereits voll und könne von sich aus auch Licht in dunkle Seiten der Vergangenheit bringen. Zwar ist noch nicht alles in den Statuten so verankert ist wie es sein sollte. Im Hinblick darauf kommt dem Fifa-Kongress im nächsten Sommer in Mauritius eine grosse Bedeutung zu.
Champagne betonte, dass es um viel mehr gehe als um die Fifa, nämlich um die Frage, welche Art von Fussball wir im 21. Jahrhundert wollen. Einer, der von den Interessen der reichsten Klubs, den reichsten Ligen und Europa dominiert wird (ähnlich wie die US-Basketball-Liga das globale Basketball), oder einer, der auf alle Rücksicht nimmt, ausgleicht und Spiele und Wettbewerbe ausrichtet, bei denen man nicht von vornherein weiss, dass der mit dem grösseren Budget auch gewinnt. Wer letzteren Fussball will, müsse eine demokratisch funktionierende Fifa haben, welche die Legitimität und damit die Kraft besitzt, ausgleichend ins Business eingreifen zu können, auch in Zukunft ein Drittel oder mehr der Einkünfte in die sportliche Entwicklung schwacher Regionen investieren und dem Trend entgegen treten zu können, dass die reichen Clubs und Spieler immer reicher und die grosse Mehrheit unter ihnen immer ärmer und chancenloser würden.
Dabei unterstrichen sowohl Zwanziger als auch Champagne, dass Josef Blatter im Unterschied zu vielen Behauptungen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist. «Ohne ihn und die Unterstützung, die er in Afrika und Asien geniesst, wird der Fussball und die Fifa nicht reformiert werden können», sagte Champagne wörtlich. Hingegen gäbe es autokratische Herrschaften und oligarchische Kontinentalverbände, welche den Reformprozess behindern und deswegen nicht aufhörten, Blatter und mit ihm den Reformprozess zu diskreditieren.
Zu diesen gehören, so Mark Pieth in einem Schreiben an die Europaratskommission, auch «einige europäische Landesverbände», welche zugunsten der Privilegien der reichen Clubs und Ligen die Reformbemühungen und damit eine Stärkung der Regelungsmacht der Fifa im Interesse aller behindern wollen. Pieths Wunsch, der Europarat möge diesen Bremsern entgegentreten und den Reformprozess der Fifa unterstützen, fiel bei den Parlamentariern aus den 47 Staaten Europas trotz aller Skepsis auf fruchtbaren Boden.
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