20. Juli 2012
Deutschlandradio
Transkription
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Es fehlt ein Frühwarnsystem für bedrohte Demokratien
Der Schweizer Europarats-Abgeordnete Gross zur Antidemokratiebewegung unter Ministerpräsident Ponta.
Andreas Gross im Gespräch mit Nana Brink. -- Der Fraktionspräsident der Sozialdemokraten im Europarat, der Schweizer Andreas Gross, sieht Rumänien in einer Staatskrise, für die der EU die passenden Instrumente zur Lösung fehlen. In dem Land werde die Demokratie auf die Mehrheit reduziert: Diese könne immer alles machen.
Nana Brink: Die Lage in Rumänien spitzt sich zu: Die EU-Kommission hat dem Land, das seit 2007 ja Mitglied ist, mit politischen Sanktionen gedroht, so sollen den Rumänen das Stimmrecht in der Union entzogen werden, wenn sie bis Jahresende nicht gravierende Fortschritte machen. Was ist passiert? Ein Machtkampf zwischen dem Ministerpräsidenten des Landes, dem sozialliberalen Victor Ponta, und dem konservativen Staatspräsidenten Traian Basescu erschüttert das Land. Die Regierung ging sogar so weit, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatspräsidenten einzuleiten. Unhaltbare Zustände, resümiert also die EU in ihrem Fortschrittsbericht, den sie Mitte der Woche veröffentlich hat und eben darin schwere Bedenken äußert: Die Rechtsstaatlichkeit und das demokratische Prinzip seien in Gefahr. -- Am Telefon ist jetzt Andreas Gross, er sitzt für die Sozialisten im Schweizer Nationalrat und ist in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, das ist ein beratendes Gremium, die älteste Institution übrigens in der EU.
Schönen guten Morgen, Herr Gross!
Andreas Gross: Guten Tag, Frau Brink!
Brink: Sie kommen gerade aus Rumänien, haben viele Gespräche geführt, unter anderem auch mit dem Premier Ponta und Staatspräsidenten Basescu. Welches Bild haben Sie heute?
Gross: Ja, und es ist viel schlimmer, als was Sie vorhin von der EU zitiert haben; -- der Europarat ist übrigens kein Teil der Europäischen Union, der Europarat ist die Organisation der 47 Mitgliedsstaaten, und ich bin der Fraktionspräsident der Sozialdemokraten. Das höchste Gremium des Europarates, d.h. alle Fraktionspräsidenten, sind zusammen nach Rumänien gegangen. Ich finde, auch wenn es ein Problem gibt, muss man hingehen und alles genau anschauen; man darf gerade dann nicht einfach nur jemanden zitieren.
Und wenn man hingeht, dann sieht man deutlich, dass es um eine eigentliche Staatskrise geht, um eine Krise der politischen Institutionen. Ich habe am Schluss unserer Gespräche ein Bild gebraucht: Mir scheint es, da fahren auf einem Gleis zwei Lokomotiven aufeinander zu - keiner bremst, im Gegenteil, beide geben Gas - und das könnte nach dem sogenannten Referendum, das die Bürger einlädt, über die Absetzung des Staatspräsidenten abzustimmen, da könnte es zu ganz schlimmen Situationen kommen.
Brink: Nun ist ja bekannt geworden, gestern zumindest, dass angeblich der Premier Ponta eingelenkt haben soll. Hatten Sie den Eindruck, als Sie mit ihm gesprochen haben?
Gross: Ja, das war sehr, sehr bemerkenswert. Also das ist ja ein junger Mensch, 37, sehr flexibel, rhetorisch und so weiter sehr begabt. Er hat uns sofort eingestanden, dass er Fehler gemacht habe, aber er hat einfach gesagt, alle hätten immer so gehandelt. Dabei ist ganz wichtig: In Rumänien, wie leider auch an anderen Orten, wird die Demokratie auf die Mehrheit reduziert, das heißt, man geht davon aus, die Mehrheit könne immer alles machen, was ihr gerade passt.
Und in den letzten vier Jahren haben 50 Parlamentsabgeordnete die Parteizugehörigkeit, die Fraktionszugehörigkeit gewechselt, sodass jetzt seit einigen Monaten eine sozialliberale Koalition an der Macht ist, und die hat die Mehrheit in beiden Kammern, und jetzt meint auch sie, sie könne sich alles gestatten, und zwar: In Tagesrhythmen haben sie Parlamentspräsidenten ersetzt, sie haben den Ombudsmann ersetzt, und vor allem fahren sie fort, das Land in Dekreten, in Schnellbeschlüssen ohne Diskussion im Parlament zu regieren.
Wir haben gesagt, das geht nicht in einer Demokratie; die Demokratie braucht Zeit, Zeit ist die Bedingung für weise Entscheidungen. Und auch darauf hat er stets geantwortet, ja, das hätten die anderen auch gemacht, auch die anderen hätten alle Posten der unabhängigen Institutionen - Ombudsmann, Fernsehanstalten - einfach selber besetzt. Und das hat uns erschüttert, weil es überhaupt keine Kultur des Dialoges, keine Kultur des Kompromisses gibt. Die Mehrheit meint ganz einfach, alles durchsetzen können.
Brink: Aber da fragt man sich ja schon, Pardon, wie kann das passieren? Warum wacht dann Europa eigentlich jetzt, also zumindest die EU-Kommission, erst jetzt auf? Denn so, wie Sie das schildern, sind das ja Strukturen, die es eigentlich schon ewig lange gibt.
Gross: Das ist das Entscheidende, Frau Brink, das ist die entscheidende Frage, und man merkt auch: Die aktiven Teile der Bevölkerung, für die sind Europa und die EU ein Symbol für Geschäftemacherei und ein Geschäft habe mit Demokratie und Menschenrechten nichts zu tun. Und die EU selber kümmert sich eben auch schon viel zu lange viel zu wenig um die inneren demokratischen Zustände, um Rechtsstaatlichkeit und um das Respektieren der Menschenrechte.
Es geht überhaupt immer viel zu sehr nur um den Markt, ums Geschäft, und davon müssen wir ganz dringend endlich wegkommen. Bei den Menschenrechten haben wir ja ein System, aber bei der Demokratie haben wir kein System, kein Frühwarnsystem, es gibt keine, wie soll ich sagen, es gibt keine 20, 30 Faktoren, mit denen man die Situation eines Landes, die Demokratiehaltigkeit, die Qualität der Demokratie messen kann. Und das ist eine meiner Lehren aus dieser Reise, dass wir da etwas entwickeln müssen, weil es darf nicht passieren, dass man bloss zufälligerweise etwas merkt, was letztlich tiefe strukturelle Ursachen hat und eine mangelpolitische Kultur ist, die in keinem EU-Land, und auch in keinem anderen europäischen Land akzeptabel ist.
Aber Rumänien ist ja in dieser Beziehung nicht das einzige Land der EU. Ungarn beispielsweise hat in zwei Jahren von rechts her das gemacht, was jetzt in Rumänien von links her nun in zwei Monaten gemacht worden ist.
Brink: Aber bleiben wir doch noch ein bisschen in Rumänien, wie gesagt, es gibt angeblich dieses Einlenken, aber das ja ihrer Meinung nach kein wirkliches Einlenken ist. Die EU-Kommission hat ja gedroht mit Konsequenzen, mit dem Verlust zum Beispiel vom Stimmrecht. Ist das jetzt die richtige Reaktion und glauben Sie, dass sie fruchtet?
Gross: Na, einerseits muss man sagen, die EU hat ja gar keine Kompetenzen, sie musste ja auch betreffend Ungarn die Kompetenzen, in die inneren Strukturen der Demokratie Einfluss zu nehmen, an den Europarat delegieren, weil wir haben wenigstens die Menschenrechtskonvention als unsere normative Basis; die EU hat da gar keine Möglichkeiten. Sie kann nur indirekt drohen, zum Beispiel mit dem Beitritt zu Schengen und so weiter.
Brink: Das hat sie ja getan.
Gross: Das hat sie getan, ja, und aber in einer sehr autoritären Art, und das ist der Demokratie nicht förderlich, wenn man einfach wie ein Schulmeister auftritt und so weiter, denn das sind diese Leute auch gewohnt von der anderen Seite, von Osten her damals. Und nun erleben sie von Westen her das selbe; das ist der Demokratie, dem Lernprozess nicht förderlich.
Aber noch wichtiger ist: Dieses Einlenken, das ist echt, er hat gemerkt, er ist zu weit gegangen, hat Fehler gemacht; aber der Punkt ist: Institutionell fahren die Lokomotiven nach wie vor aufeinander zu, weil dieses sogenannte Referendum muss ein Quorum von 50 Prozent erreichen. Dabei muss man wissen, dass in den letzten zehn Jahren drei Millionen Rumänen das Land verlassen haben; es muss aber abgestimmt werden auf der demografischen Basis von vor zehn Jahren.
Das ist eine unmögliche Hürde. Der alte Präsident wird also wohl wieder zurückkommen - obwohl er sehr unpopulär ist und wenig Zustimmung bekommen wird; er wird aber glauben, er habe wieder eine Legitimation. Und diejenigen, die jetzt ihn so behandelt haben, fühlen sich auch legitimiert. Und das ist der eigentliche Verfassungskonflikt. Es kommen zwei Legitimitäten aufeinander zu.
Brink: Die beiden Lokomotiven, die Sie geschildert haben.
Gross: Genau. Basescu, der Präsident, hat mit uns in einer Art geredet, die uns das Schlimmste befürchten lässt, nämlich dass er nachher, nach diesem gescheiterten Referendum, sagen wird: Ich bin der starke Mann, du bist das gesunde Volk, und dort ist die böse politische Klasse, und wir werden jetzt zusammen autoritär regieren. Das ist die Position aller Cäsaren, bis Napoleon III. gewesen.
Brink: Vielen Dank für diese Einschätzung, Andreas Gross, er sitzt im Schweizer Nationalrat und war für die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Rumänien. Schönen Dank für das Gespräch!
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