4. April 2012

Deutschlandradio

«Die Schweiz fühlt sich wieder mal
von Deutschland belagert»



Das Gespräch im O-Ton.

Schweizer Sozialdemokrat fordert mehr Ruhe im Steuerstreit -- Andreas Gross im Gespräch mit Silvia Engels.
Die Schweiz sei ein Rechtsstaat wie Deutschland auch und die Festnahme der deutschen Steuerfahnder ein ganz normaler Vorgang, meint Andreas Gross, Mitglied des Schweizer Nationalrats. Aber der Streit zeige auch: Die Bankpraktiken der Schweiz hätten keine Zukunft mehr.


Silvia Engels: Die Schweiz geht mit Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder vor, im Gegenzug will eine Schweizer Großbank Mitarbeiter nicht mehr nach Deutschland lassen, so hieß es gestern. Das entpuppte sich später als Falsch­meldung. Sei es, wie es sei, der Steuerstreit zwischen den Nachbar­staa­ten hat in den vergangenen Tagen noch einmal eine höhere Stufe erreicht. Dabei hatte die deutsche Bundesregierung eigentlich darauf gesetzt, dass ein bila­te­rales Abkommen den jahrelangen Streit um den Umgang mit deutschem Schwarzgeld auf Schweizer Konten beenden würde. -- Am Telefon ist nun Andreas Gross, er sitzt für die Schweizer Sozial­demo­kra­ten im Nationalrat, das ist eine Kammer des Bundes­parla­ments der Schweiz. Guten Morgen, Herr Gross!

Andreas Gross: Guten Tag, Frau Engels.

Engels: Wie wird denn die neue Entwicklung und auch die Entrüstung rund um den Steuerstreit bei Ihnen unter den Abgeordneten diskutiert?

Gross: Ja, in der ganzen Bevölkerung wird das diskutiert. Die Entrüstung ist gegenseitig und die Schweiz fühlt sich wieder mal von Deutschland belagert und ungerecht behandelt, und das hat eine historische Tiefe und ich glaube, wir müssen ein bisschen ruhiger über die Unterschiede reden und über die gemeinsamen Interessen und auch über die Ungleichzeitigkeit, in der sich die Schweiz momentan befindet, und dann können wir uns besser verstehen.

Engels: Sie sagen, historische Ursachen. Was führen Sie da an?

Gross: Ja, Sie müssen sich daran erinnern, was Helmut Schmidt auch der deutschen Sozialdemokratie immer wieder deutlich gemacht hat, vor allem die kleinen Nachbarländer Deutschlands und vor allem die Schweiz, die haben zu Deutschland immer noch ein ganz anderes Verhältnis als zu Frankreich. In der Schweiz ist im kollektiven Unterbewusstsein Deutschland immer eine tendenzielle Bedrohung, obwohl Hunderttausende von Deutschen in der Schweiz leben und paradoxerweise hier zwei Mentalitäten sind, die einander sehr nahe sind. Aber wenn es um deutsche Kritik an der Schweiz geht, dann reagieren die Schweizer immer superallergisch und vergessen nie, dass von der preußischen Armee bis zum Zweiten Weltkrieg die Deutschen die Schweizer bedroht haben.

Engels: Auf der anderen Seite ist es für Deutschland ein Novum, dass gegenüber Steuerfahndern die Schweiz Haftbefehle verhängt. Hat die Schweiz das gegenüber anderen Ländern auch in der Praxis schon getan?

Gross: Schauen Sie, ich bin ja der Letzte, ich bin ein Sozialdemokrat, ich bin ein Linker, ich bin im Europarat Fraktionspräsident der Sozialdemokraten, ich bin der Letzte und wir Sozialdemokraten sind die letzten, die die Schweizer Banken verteidigen und die Praktiken der Schweizer Banken, und wir haben schon 1984 eine Volksinitiative gemacht, in der die Schweizer Banken auf das Schwarzgeld, auf das gestohlene Geld, auf das von ihren Völkern gestohlene Geld der Diktatoren verzichten sollten. Aber die Schweiz ist ein Rechtsstaat wie Deutschland auch, und wenn in der Schweiz jemand etwas gemacht hat, das dem schweizerischen Gesetz widerspricht, dann versucht die Schweiz, überall wo diese Leute zu finden sind mit den betreffenden Ländern in Kontakt zu kommen und Rechtshilfe zu begehren, so wie das Deutschland auch machen würde, wenn jemand, ein Deutscher sich in der Schweiz befindet, der in Deutschland das Recht gebrochen hat, und die Justiz, der Bundesanwalt, der agiert unabhängig von der politischen Konstellation. Er ist unabhängig, er ist nicht irgendwelchen politischen Behörden unterstellt, und in dem Sinne ist das ein ganz normaler Vorgang, der - und das wissen die Schweizer auch -, weil jetzt Wahlen sind in Nordrhein-Westfalen, weil die Parteien in Deutschland es nicht immer einfach haben, sich voneinander zu unterscheiden, jetzt so hochgespielt wird.

Engels: Das heißt, die Schweizer regen sich darüber auf, dass ihnen von Deutschland unterstellt wird, es sei politischer Druck hinter dieser Erlassung von Haftbefehlen, dahingehend, dass die Schweiz gern Druck ausüben möchte, das bilaterale Abkommen schnell zu unterzeichnen?

Gross: Das hat mit Druck überhaupt nichts zu tun, das ist lächerlich. Das hat mit Druck gar nichts zu tun. Aber den Deutschen geht es auch nicht um den Druck, das ist nur eine symbolische Handlung. Es stoßen hier unterschiedliche Staatsverständnisse, unterschiedliche Bürgerverständnisse aufeinander und ich persönlich, ich habe große Sympathien mit der Kritik der deutschen Sozialdemokratie an denjenigen, die in der Schweiz Geld versteckt haben, das sie eigentlich in Deutschland bezahlen sollten. Ich habe im Parlament immer wieder gesagt, ich verstehe unsere Nachbarländer, dass sie eine Schweiz nicht akzeptieren, deren Gesetzgebung eine permanente Einladung ist, zu Hause nicht die notwendigen Steuern zu bezahlen. Aber wir haben für die Änderung dieses Zustandes in der Schweiz noch keine Mehrheit und deshalb muss die Justiz in der Schweiz sozusagen das schweizerische Recht vollziehen, und das würde die deutsche Justiz in der Schweiz genauso tun.

Engels: Sind die Schweizer auch deshalb so empfindlich gegenüber der Kritik, weil ja beispielsweise die USA gegenüber der Schweiz in ganz ähnlichen Steuerangelegenheiten in den letzten Jahren eine viel härtere Gangart angeschlagen haben und dort ja auch Zugeständnisse bekamen? Sorgt sich die Schweiz hier vor Wiederholung durch den deutschen Nachbarn?

Gross: Nein. Erstens einmal: Das ist das, was ich vorhin gemeint habe. Die Schweiz ist in einem Übergangsstadium. Sie weiß, dass es so wie in der Vergangenheit, wie sie ihre Bankgeheimnisse praktiziert hat, dass das keine Zukunft mehr hat, und sie weiß, sogar die Banken wissen, dass sie letztlich auf die automatischen Informationsaustausche, wie das in den nächsten Jahren von der OECD und von der EU als Standard gelten wird, dass sie sich dem nicht verschließen kann. Und in dem Sinne haben Sie Recht, sie hat den USA schon enorme Zugeständnisse gemacht und sie ist nicht bereit, vorläufig Europäern die gleichen Zugeständnisse zu machen wie den Amerikanern. Und das ist ein Punkt, welcher den Deutschen nicht gefällt, aber sie müssen sich bewusst sein, dass es bisher kein anderes Land gibt, das bereit ist, den Deutschen auf Kapital, das in der Schweiz markiert ist, zehn Milliarden Franken zu bezahlen. Nordrhein-Westfalen alleine würde zwei Milliarden bekommen. Das ist eine Bereitschaft, altes Geld zu besteuern, alte Steuerhinterzieher zu bestrafen, die neu ist, diese Bereitschaft, und das ist objektiv ein Übergangsstadium. Ein Teil der Schweizer meint, sie könne sich damit ewig dem neuen Standard verschließen. Ich bin überzeugt, dass das ein Übergangsstadium ist und in dem Sinne auch dieses Abkommen nur von temporärer Dauer sein wird, bis es zu einem anständigen üblichen Verhältnis kommt, dass auch in der Schweiz kein Geld mehr versteckt werden kann, das eigentlich anderen, dem Fiskus zum Beispiel in Deutschland oder Griechenland gehört.

Engels: Andreas Gross, Mitglied der Schweizer Sozialdemokraten und Abgeordneter im Nationalrat. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

Gross: Danke auch. Auf Wiederhören, Frau Engels.

Engels: Auf Wiederhören.


Kontakt mit Andreas Gross



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