03.04.2012

Focus

Bankgeheimnis und Minarettverbot -
Die Schweiz, Deutschlands rätselhafter Nachbar



Von FOCUS-Online-Redakteurin Susanne Klaiber

Sie sprechen sich gegen mehr Urlaub aus, wollen keine Minarette im Land und verteidigen ihr Bankgeheimnis mit Zähnen und Klauen. Ein Schweizer Politiker erklärt, wie seine Landsleute denken und was sie umtreibt. -- Die Schweiz hat Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder erlassen, die eine CD mit Daten von Deutschen gekauft hatten, die ihr Schwarzgeld bei der Schweizer Bank Credit Suisse deponiert hatten. Der Vorwurf: nachrichtliche Wirtschaftsspionage.

Der ungewöhnliche Vorgang fügt sich ein in eine Reihe von politischen Ereignissen und nationalen Besonderheiten der Schweiz, die im Ausland oft auf Unverständnis stoßen.

1. Land ohne Hauptstadt

Die Schweiz hat keine Hauptstadt – nur die Bundesstadt Bern. Gesetzlich verankert ist nicht einmal das. Festgelegt ist nur, dass sich dort die Bun­desversammlung trifft. Die Schweizer hatten sich bei der Gründung des Staates 1848 in ihrer Verfassung auf keine Hauptstadt einigen können.

So ganz abgefunden haben sich damit offensichtlich nicht alle Schweizer. Erst kürzlich wurde der Verein Hauptstadtregion Schweiz aktiv, dem unter anderem die Bundesstadt und Bern angehört. Das Ziel: mehr politisches Gewicht für die Region. Der Grund dafür, heißt es in der Neuen Zürcher Zeitung, sei, dass Bern sich provoziert fühlte, weil es in einem Raumkonzept nicht als Metropolitanregion anerkannt wurde. Da wollten die Behörden schon lieber Teil eines Großraums Hauptstadtregion sein.

2. Alles für das Bankgeheimnis

Im Comic Asterix bei den Schweizern lügt der Bankier Vreneli den Römern vor, eines seiner Bankschließfächer sei von Kriminellen aufgebrochen worden. Tatsächlich hatte Obelix das steinerne Schließfach demoliert. Doch Vreneli will ihn nicht an die Besatzer verraten.

Ähnlich verschwiegen sind Schweizer Banken heute tatsächlich, was das ihnen anvertraute Geld angeht. Sehr zum Ärger etwa der deutschen Be­hör­den. «Hinter dem Bekenntnis zum strikten Schweizer Bankgeheimnis steht der hohe Wert, den die Privatheit für die Schweizer hat, ebenso wie ihr Wunsch, diese Sphäre vom Staat abzugrenzen», sagt der Nationalrats­ab­ge­ord­nete Andreas Gross von der Sozialdemokratischen Partei (SP). Er nimmt für sich in Anspruch, einer der wenigen zu sein, die öffentlich sagen, «dass sich die Nachbarstaaten der Schweiz nicht damit abfinden werden, wenn die Schweiz durch ihre Gesetzgebung eine permanente Einladung darstellt, zu Hause nicht alle Steuern zu bezahlen».

Warum das Bankgeheimnis als Spielart der Privatheit zu seinem Stellenwert kam, darüber gibt es laut Gross verschiedene Interpretationen. Manche beriefen sich darauf, dass die Schweiz im Nationalsozialismus jüdische Anleger nicht an Deutschland verraten habe und das derzeitige Insistieren der deutschen Behörden von mangelnder Sensibilität zeuge. Andere argumentierten, dass der Staat in der Schweiz seit jeher schwach gewesen sei, die Wirtschaft stark. «1848, zur Gründung der modernen Schweiz, hat sich nicht nur das Volk, sondern auch die Wirtschaft ihren Staat erkämpft», sagt Gross.

3. Mehr Urlaub? Nein danke.

Erst Mitte März dieses Jahres haben sich die Schweizer in einer Volk­sab­stim­mung gegen eine Verlängerung des gesetzlichen Mindesturlaubs von vier auf sechs Wochen entschieden. Für den Schweizer Politiker Gross ist das nicht verwunderlich.

In der Schweiz sei das protestantische Arbeitsethos fest verankert. «Wir haben keine Angst vor der Arbeit», meint er. Allerdings geht er davon aus, dass es ein ähnliches Ergebnis auch in anderen Ländern hätte geben können – wenn man die Bevölkerung nur fragen würde. «Viele Länder trauen ihren Bürgern so eine Abwägung zwischen privaten und allgemeinen Interessen fälschlicherweise nicht zu», sagt er. Arbeitgeber in der Schweiz hatten gewarnt, dass dann Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden könnten. Derzeit liegt die durchschnittliche Zahl an Urlaubstagen für Schweizer Angestellte bei 25 – in Deutschland sind es etwa 30.

4. Niedrige Steuern? Nicht unbedingt.

Im Ausland gab es im September 2011 einiges Kopfschütteln: Die Schweizer hätten Steuersenkungen abgelehnt, hieß es. Doch diese Darstellung greift zu kurz.

In der Schweiz kann jeder Kanton selbst die Höhe verschiedener Steuern bestimmen. Konkret entschieden sich 70 Prozent der Bürger im Kanton Zürich dagegen, die Vermögenssteuer, die auf Geld- und Immobilienbesitz erhoben wird, zu halbieren. Gründe für die Entscheidung der Bürger sind viele denkbar: Erstens macht die Vermögensteuer nicht einmal ein Prozent des gesamten Steueraufkommens aus, fällt also in der Masse nicht so ins Gewicht. Zweitens tritt die Steuer vor allem Vermögende – möglich, dass ihr Anteil an der Bevölkerung nicht so hoch war, um die Abstimmung für sich zu entscheiden. Drittens hält Gross für denkbar, dass die den Bürgern schlicht klar war, dass der Staat das Geld braucht. «Die Schweizer identifizieren sich mit ihrem Staat, weil er nie wie etwa Griechenland von Fremden bestimmt wurde, auch weil sie durch die direkte Demokratie viel mitbestimmen können», sagt Gross. Und Viertens sei die Steuerbelastung in der Schweiz ohnehin nicht so hoch, «für deutsche Verhältnisse sogar paradiesisch». Denn die Kantone konkurrierten untereinander mit niedrigen Steuern. Der Kanton Basel Stadt etwa denkt gerade darüber nach, die Steuern für Unternehmen zu senken.

5. Keine Minarette, kaum Häuser für Ausländer

Dass eine populistische Initiative in der Schweiz ein Verbot von Minaretten durchgesetzt hat, dass Ausländer aus rechtlichen Gründen in der Nord­schweiz gar keine Chance und im restlichen Land nur mäßige Chancen haben, ein Haus zu kaufen, hat der Schweiz den Ruf eines ausländer­feind­lichen Landes eingebracht. «Die Schweiz hat nicht nur den Ruf, sie ist tatsächlich so», sagt Gross. Für ihn kommt bei der Minarett-Abstimmung ein verfassungsrechtliches Defizit zum Ausdruck, «denn über grundrechtswidrige Volksbegehren sollte man nicht abstimmen dürfen».

Die Gegner von Minaretten hatten argumentiert, die Türme der islamischen Gebetshäuser stellten ein religiös-politisches Machtsymbol des Islam dar. Als solches bringe es einen undemokratischen Alleinvertretungsanspruch zum Ausdruck. Kritiker des Verbots dagegen gehen davon aus, dass es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Eine Entscheidung des zuständigen Gerichtshofs gibt es dazu bislang nicht.

Den Grund für die Ausländerfeindlichkeit, die seit etwa 50 Jahren zu beobachten sei, sieht Gross unter anderem in der Sozialpolitik. «Die Schweizer Sozialpolitik ist hart», sagt Gross. Viele «kleine Leute» hätten Angst vor der Zukunft. «Statt sich für sich selbst einzusetzen, machen sie die Tore dicht», kritisiert der Politiker. Ein Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung führt das «Unbehagen» gegenüber Ausländern in erster Linie auf Furcht vor Überfremdung in dem Land mit einem Ausländeranteil von etwa 23 Prozent zurück. Außerdem äußert er Bedenken, dass Zuwanderer sich aufgrund anderer politischer Erfahrungen nicht mit der direkten Schweizer Demokratie identifizieren könnten. Und warnt: Die Schweiz sei «wie kaum ein anderes Land der Welt auf der internationalen Ebene eng vernetzt. Würden Nationalismus und Protektionismus wieder Urständ feiern, wie dies in den vergangenen zwei Jahrhunderten zum grossen Schaden der Menschheit wiederholt der Fall gewesen ist, so würde der Wohlstand der Schweizer rasch dahinschwinden. »


Kontakt mit Andreas Gross



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