05.03.2012
DRS 4 aktuell
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Präsidentenwahl in Russland: Umfangreiche Wahlfälschungen
Lorenzo Bonati, Moderator:
Dass Wladimir Putin neuer russischer Präsident ist, daran wird nicht gezweifelt. Aber wie der Wahlsieg zustand kam: Die Wahl sei weder gerecht noch fair verlaufen, teilt etwa die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Moskau mit. Anders tönt es beim Leiter der Zentralen Wahlkommission: Dieser spricht von den saubersten Wahlen in Russland, die es je gab. Ist diese Äusserung des Wahlleiters haltbar?
Andreas Gross: Nein, nein, in keiner Weise, das ist Humbug. Alle wissen in Russland, dass Herr Tschurow, der Leiter der Zentralen Wahlkommission, alles andere als unabhängig, sondern praktisch der Laufbursche und der Lautsprecher von Vladimir Putin ist. Er ist ein alter Freund von ihm und alles, was Putin recht ist, ist ihm auch recht, mit der Wahrheit hat das nichts zu tun.
Herr Gross, welche Wahlmanipulationen haben Sie persönlich denn beobachten können?
Ich habe am Sonntag gesehen, dass man mit der Möglichkeit, sich am Tag der Wahl im Wahlbüro einschreiben zu können, auch in jenen Orten, in denen man nicht zu Hause ist, wählen kann. In einem von mir besuchten Wahllokal war der Anteil dieser Menschen so hoch, dass ganz klar von einer Mehrfachwahl gesprochen werden kann. Und wiederum ist der Auszählungsprozess so chaotisch und so schlecht organisiert worden, dass auch dort Wahlzettel verschwinden konnten. Es gibt zig Belege dafür, wenn gewisse Leute sogar behaupten, es sei mehr betrogen worden als am 04. Dezember 2011 bei den Parlamentswahlen und dass dort betrogen worden ist, hat zwar Herr Tschurow am Anfang völlig negiert, bestreitet dies aber heute nicht mal gegenüber einem Minister der Regierungspartei.
Jetzt haben ja die Wahlbeobachter tausende solcher Wahlverstösse gesehen, die Beschwerden wurden aber von der Wahlleitung zu einem grossen Teil nicht gut geheissen. Kann man dann sagen, der Einfluss und die Wirkung der Wahlbeobachter ist doch sehr begrenzt?
Selbstverständlich sind die begrenzt. Es kommt darauf an, ob es eine unabhängige Justiz gibt, eine anständige Justiz. Das bezieht sich auf die Beobachtungen und Beanstandungen der russischen Bürger, die gibt es nicht, also haben juristische Beanstandungen praktisch keine Konsequenzen, deshalb werden sie aber auch nicht gebraucht. Es gibt kaum einen russischen Bürger, der Vertrauen hat in die Justiz und das verstehe ich sehr gut, hätte ich auch nicht. Darum bleibt ihnen nur die Demonstration und das ist die grosse Tatsache die in Russland so wenig Leute verstehen, weil die ganze russische Geschichte Ausdruck davon ist, dass diese Tatsache ignoriert wurde, wenn man den Leuten die Stimme nimmt, ihre eigentliche Stimme zu reden oder eben die politische Stimme, dann werden sie sprachlos. Aber auch Sprachlose können noch, wenn sie überlaufen vor Empörung, wenn sie nicht akzeptieren, was mit ihnen geschieht, bleibt ihnen die letzte Sprache, die letzte Kommunikation und das ist die Gewalt.
Was müsste denn Ihrer Meinung nach geschehen, dass solche Wahlfälschungen in Zukunft verhindert, oder zumindest eingedämmt werden könnten?
Es braucht eine Totalüberholung der ganzen Gesetzesregelungswerke der Wahlen, es braucht eine andere Mentalität gegenüber den Andersdenkenden, es braucht die Einsicht, dass das kostbarste Gut der Wahlen Legitimität ist und Legitimität kann nur als Ergebnis erreicht werden, wenn der Prozess fair ist, wenn alle Beteiligten faire Mitwirkungschancen haben und das braucht eine Renovation von Fuss bis Kopf und von Kopf bis Fuss bei der russischen Gesetzgebung, und an dem muss man arbeiten. Da ist der Europarat dran und wir werden nicht aufgeben. Es ist viel zu gefährlich, die Vorstellung, dass Russland wieder einen nicht europäischen Weg geht, sich von Europa abwendet und die eigenen Europäer mit Gewalt unterdrückt.
Kontakt mit Andreas Gross
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