9. Mai 2011
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Diesen Wahlkampf hätte ich gerne mitgetragen
Wenn andere von der Zukunft nur die Vergangenheit erwarten, geben sie uns den Schlüssel für politischen Erfolg in die Hand!
Von Fredi Krebs
Wo treffen die Worte von Max Frisch besser zu als auf Blocher und seine SVP? - Er stellt uns die Frage: «Was will die Schweiz von der Zukunft: ihre Vergangenheit? (…) Wovon ist die Rede? Vom Bestand, der zu schützen ist, nie von einem Entwurf, der zu verwirklichen wäre. Ich sage nichts gegen diesen Bestand; ich glaube nur, dass Selbstvertrauen, bei einer Gemeinschaft wie beim Einzelnen, weniger aus dem Bestand zu beziehen ist, als aus der Schaffenskraft oder auch nur Schaffenslust, also aus dem Entwurf. Wo aber Selbstvertrauen ausfällt, kommt die Verteidigungsmentalität. Ängstlichkeit begleitet vom empfindlichen Dünkel. Bestand gegen Entwurf, das heisst: als fremd empfindet man schliesslich die Zukunft überhaupt.»
Ich frage mich nun einigermassen besorgt (aber nicht wirklich erstaunt), wie tief diese Verteidigungsmentalität, diese Ängstlichkeit sich bereits in die Reihen der SP eingefressen hat. Man, präziser: die Geschäftsleitung der SP ZH will also Andi Gross nicht als Ständeratskandidaten. Dagegen gibt’s zunächst nicht viel einzuwenden; für Thomas Hardegger sprechen genauso wie für Andi Gross gute Gründe.
Aber schon wenige Stunden nach dem Entscheid der Geschäftsleitung und auch noch Tage später in der Sonntagspresse offenbart sich die Schwäche eben dieses Entscheides: Landauf, landab ist in allen Medien – elektronisch wie in den Printausgaben der Zeitungen – von … Andi Gross die Rede. Bei einem für alle nachvollziehbaren Prozedere und einer intelligent betreuten Medienarbeit müsste über den offiziellen Kandidaten der GL der SPZH, über Thomas Hardegger also, geschrieben werden. Es müssten Portraits und Profile von ihm und nicht von Andi Gross erscheinen und gesendet werden. Zumal Andi Gross in dieser Richtung erst noch absolut stillhält. Gewiss: Es ist dies alles auch eine Frage der Prominenz, aber man kann bzw. könnte solche Dinge auch von der SP aus ohne weiteres steuern.
Dabei würde man allerdings sehr schnell feststellen, wie gross das Mass an profunder, seriöser und jahrelanger Arbeit ist (die allerdings nie gezielt auf eine Ständerats-Kandidatur ausgerichtet war), das nun verschenkt worden ist. So etwas spottet jeglichem strategischem Denken, erst recht, da ja keine inhaltlichen Differenzen vorliegen; die Politik von Andi Gross deckt sich mit sozialdemokratischen Inhalten und zürcherischen Interessen.
Aber es geht mir um mehr als bloss um die „Personalie“ Andreas Gross: Wenn ein für den Wähler attraktives und zur Umsetzung der politischen Inhalte der SP überzeugendes Team zusammengestellt wird, in welches Andi Gross nicht passen oder darin sogar stören würde, in dem seine Reputation und Erfahrung nicht gebraucht werden kann, könnte man dies ihm und der Öffentlichkeit gegenüber vertreten und Punkt. Wenn die Gründe gewichtig genug sind, werden sie auch akzeptiert.
Ich habe mit Andi schon zusammengearbeitet, als man uns unsere Jugendlichkeit vorgeworfen hat. Nun wirft man ihm sein „Alter“ vor. Sei’s drum. Aber es würde klar zu den Aufgaben einer GL gehören, dass es vermieden wird, dass solche Scheingefechte innerhalb der Partei überhaupt erst aufkommen und schon gar nicht in der Basler Zeitung ausgebreitet werden. Was jeder Partei schadet, sind öffentlich geführte Personaldebatten ohne inhaltlich klare Positionierungen. Und genau das ist in den vergangenen Monaten der SP ZH viel zu oft passiert. Abgesehen von den mangelnden menschlichen Qualitäten, die sich hier in aller Öffentlichkeit auftun. Eine Partei, die ihre Parteiarbeiter öffentlich abschlachten lässt, ist nicht wirklich attraktiv. So geht man nicht mit Menschen und schon gar nicht mit Freunden um. Damit die SP für breite Wählerschichten attraktiv bleibt, muss sie genau das Gegenteil dessen vermitteln, was sie in den vergangenen Monaten zuliess. Solidarität, Spass am Gestalten, Vermitteln von politischen Ideen, Freude an der Zusammenarbeit, an der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und am gemeinsamen Weiterkommen; dies müsste das Bild der SP in der Öffentlichkeit sein.
Die grosse Chance, ein solches Bild zu vermitteln, wäre ein engagiert und couragiert geführter Wahlkampf (in diesem Fall um den Ständeratssitz). Wäre das Anbieten von Entwürfen. Und was ist komfortabler, als einen Kandidaten zur Verfügung zu haben, dessen Profil man den Wählern nicht erklären oder gar erst schaffen muss? Ich muss meinen anarchistischen Freunden in Carrara (I), den Katalanen in Barcelona (E) und den Konservativen auf Aland (S) nicht lange erklären, wofür Andi Gross steht; in Aserbaidschan und im Kosovo und anderen Ländern schreiben Bürger jeglicher politischer Couleur Leserbriefe über Andi Gross, Leserbriefe, die voll des Lobs und mit Hoffnung verknüpft sind. Andi ist Fraktionschef der Sozialisten im Europarat, wird mit dem Verfassen wichtiger und umfangreicher Berichte und der Betreuung heikelster Dossiers betraut und hat beste Chancen, das Präsidium des Rates zu erhalten. Nur in Zürich hat man Bedenken. Obwohl all diese Aktivitäten und all dies Vertrauen auch dem Kanton Zürich zugutekommen. Und obwohl er die ZH-Verfassung mitgeprägt hat oder die Anflüge auf Kloten in Bern zum Thema gemacht hat, als es noch nicht gross in Mode war (um nur zwei Beispiele von Dutzenden zu nennen).
Wie schön und lohnend wäre es gewesen, zum Beispiel auch einen literarischen Wahlkampf zu führen. Denn wie viele wertvollste Anregungen von Frisch, Dürrenmatt, Otto Walter, Peter Bichsel, Inglin, Keller und anderen haben wir doch zu unserer Verfügung? Und wie viele ihrer Fragen haben wir – Schande über uns - noch nicht beantwortet? Wie viele ihrer Bedenken nicht zerstreut? Sie alle liefern uns einen Leitfaden und viele Argumente für einen Wahlkampf, der sich deutlich von dem anderer Parteien unterscheidet und der uns eine hohe – ja, auch moralische – Legitimation in die Hände gibt. Unter anderem die beharrliche Nichtbeantwortung der von Frisch aufgeworfenen Frage nach dem Entwurf lässt doch die möglichen und gerade die typischen SP-Wähler mit grossem Unbehagen zurück.
Bestand gegen Entwurf. Wie gerne würde ich mit Andi den Entwurf, besser: Viele Entwürfe vertreten! Wie gerne sähe ich eine SP, die mir Entwürfe unterbreitet!
Ich bin überzeugt, dass ein auf solche oder ähnliche Weise und durch weitere Ideen komplettierter Wahlkampf den für die SP Zürich und deren mögliche Wähler dringend notwendigen Motivations-Schub auszulösen vermöchte. Man muss die SVP mitnichten in den Focus des Wahlkampfes rücken, im Gegenteil. Aber dass man ihr einmal mehr ausweichen will und dies erst noch offen kommuniziert, zeugt nicht von Selbstbewusstsein und lässt die Menschen, die diese Partei und deren Exponenten als bedrohlich empfinden (und das sind sehr viele), ziemlich alleine zurück. Lässt auch diejenigen Mutterseelenallein zurück, die sich durch die SVP-Clique angewidert von der Politik und den Parteien abwenden (und das sind noch viel mehr). All diese Menschen kommen sicher nicht auf die Idee, dass es hilfreich sein könnte, die SP-Liste einzulegen.
Ja, die SP-Liste: Man scheut sich also, einen Vorschlag zu Handen der Delegierten-Versammlung zu machen. Das heisst, man mutet sich nicht zu – so kommt das bei vielen Menschen an –, ein für den Wähler attraktives Team für die NR-Wahl zusammenzustellen, das sich durch einen guten Kompetenzen-Mix auszeichnet. Und genau dies ist durch das geplante Verfahren nicht garantiert. Stellen Sie sich vor, unsere Club- und Nationalmannschaften, egal in welcher Sportart, würden nicht von den Trainern, sondern von den Club-Anhängern zusammengestellt. Es würde wohl kaum je ein funktionierendes Team entstehen können! Wenn ich das nun gültige Prozedere der SP ZH, das zur Nationalrats-Liste führen soll, konsequent zu Ende denke, muss ich davon ausgehen, dass irgendwann der Vorschlag kommt, dass die SP ZH jedem Wahlberechtigten einen Zettel schickt, mit der Bitte, die gewünschten Kandidaten aufzuschreiben. Man hätte dann wohl Blocher, Leutenegger, den einen oder anderen gerade erfolgreichen Sportler und Musiker und auch Andi Gross auf der Liste, aber was wäre politisch damit zu erreichen?
Kontakt mit
Andreas Gross
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